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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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nur darüber nachzudenken – als ob ein Teil von mir seit jenem Tag im Badezimmer darauf gewartet hätte, dass er einfach so auftauchen würde, mit einer fadenscheinigen Ausrede, und mich mitnehmen würde.
    Wir fuhren an diesem Abend die Küste entlang und hielten auf einem Parkplatz am Montara Beach, wo Tommy sich einen Joint anzündete. »Du kriegst nichts davon ab«, sagte er. »Du bist zu jung und süß.«
    »Du hast wohl keine Ahnung, was in der Junior High abgeht!« Ich nahm ihm den Joint aus der Hand. Immer noch das Spiel.
    »Ist schon ’ne Weile her.« Er beobachtete, wie ich einen Zug nahm. Meine Freundin damals, Melony Fletcher, war eine ziemliche Kifferin, und ich hatte ein bisschen was mit ihr geraucht. Ich stand nicht sonderlich darauf, aber ich wollte Tommy zeigen, dass ich kein Kind mehr war.
    »Du musst mir
versprechen
, dass du deinem Bruder |121| nichts davon erzählst«, drängte Tommy. »Versprochen?«
    »Das geht ihn nichts an. Ich habe mein eigenes Leben.«
    Wir rauchten und hörten Radio, und dann schob Tommy die Vorderbank zurück, legte mir seinen langen Arm um die Schulter und sagte: »Komm her.«
    Es war, als ob ich mich selbst von außen beobachtete, wie ich zu ihm rüberrutschte, wie ich es zuließ, dass er mich auf seinen Schoß zog, während ich lachte und lachte, kieksig vom Dope. Es war nicht so übel. Ich kannte eine Menge Mädchen in der Schule, die Freunde hatten, wie sie es nannten, aber sie gingen nicht mit ihnen aus. Ihre Freunde waren einfach Jungs, mit denen sie nach der Schule rumknutschten, während ihre Eltern bei der Arbeit waren. Manche von ihnen hatten Sex – darunter auch Melony, mit Mitch Benedict.
    Tommy sagte: »Ich will mir einfach mal dein hübsches Gesicht ansehen. Aus nächster Nähe.« Sein Gesicht war ein paar Zentimeter von meinem entfernt und ich hörte auf zu lachen. »Du bist so hübsch. Du bist hübscher als irgendeins von den Mädchen in der Highschool. Die sehen alle so aufgebrezelt aus und verbraucht und gefakt, nicht wie du.«
    Nicht wie ich. Diese Worte schrillten in meinem Kopf, hüpften auf und ab vor lauter Dope und dem schwindligen Gefühl, mit Tommy allein zu sein, in seinem Auto, mit einem Jungen – einem
Mann
–, der mir sagte, ich hätte etwas, das andere Mädchen nicht haben. |122| Ich berührte seine Narbe, was ich schon hatte tun wollen, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Sie fühlte sich weich an, wie normale Haut, ganz unerwartet. Er nahm meine Finger und küsste sie. »Das ist nicht cool«, murmelte er. »Ich meine, die kleine Schwester von seinem Freund zu küssen.«
    »Es ist okay«, antwortete ich. »Wie gesagt, es geht ihn nichts an.«
    »Find ich auch.« Aber er wollte mich noch nicht küssen; er starrte mich nur an und drückte meine Hüfte und lächelte, bis ich schließlich ihn küsste. Daran erinnerte er mich gern in den folgenden Monaten, wenn ich darum bat, mit alldem aufzuhören. »Hey«, erwiderte er dann, »du hast angefangen, weißt du nicht mehr?«
    Also knutschten wir in dieser Nacht und holten uns natürlich kein Eis, und ich versuchte das Spiel weiter zu spielen, weil es das Einzige in meinem Leben war, das mir überhaupt ein gutes Gefühl gab. Danach holte Tommy mich manchmal von der Schule ab und fuhr mit mir rum, oder er tauchte an den Abenden auf, an denen Darren arbeitete, und so ging es fast ein Jahr lang, bis jemand davon erfuhr.
    Später, nachdem Tommy überall rumerzählt hatte, dass mein Dad uns entdeckt hatte, schien er nicht mehr so cool und tough und elegant; er kam mir einfach nur noch wie ein schmieriger Loser vor, und ich konnte verstehen, warum die Mädchen in der Highschool sich nicht für ihn interessierten. Selbst Melony, die eine Halskette besaß, auf der ›99% Jungfrau‹ |123| stand, ließ mich fallen, nachdem sich die Sache mit Tommy herumgesprochen hatte. Ich brauchte eine Weile, um mir zusammenzureimen, weshalb ausgerechnet
Melony
sich um ihren Ruf sorgte, bis ich allmählich mitbekam, auf welche Weise Tommy die Geschichte überall rumerzählte. Er machte einen Witz daraus. Er machte
mich
zu einem Witz.
    Aber Lee hatte recht. Tommy hatte was. Und selbst jetzt, als er ganz klebrig von der Pizzeria war und stoned und mich von
Safeway
nach Hause fuhr, nachdem Stacy nicht aufgetaucht war, erinnerte sich ein Teil von mir daran, wie es war, als er
mich
auswählte: an dieses erste Mal, als er mir sagte, ich sei hübsch, dieses erste Mal, als ich ihn küsste. Ich erinnerte mich auch, wie

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