Zicke
früher, und so weiter.
Aber als ich dann tief Luft holte und die Decke beiseitewarf, da war ich nach wie vor ich selbst.
Das einzig Gute an dem Tag, der vor mir lag, war Jason. Wir hatten eigentlich vor, ins Einkaufszentrum zu gehen, wie gewöhnliche Teenager das so in den Sommerferien machen. Ich konnte mich durchaus wie |163| ein gewöhnlicher Teenager geben: Du lässt rotzige Bemerkungen fallen, du führst dich bescheuert auf und gehst den Leuten auf den Keks. Du kaufst irgendeinen Kram. Du isst was.
Das Telefon läutete; ich ließ es einige Male klingeln, bis mir einfiel, dass es vielleicht Darren sein konnte. Ich stand eilig auf und lief hin.
Es war Mom. »Ich dachte, du hättest vielleicht etwas gehört«, sagte sie.
»Nein.«
»Bist du gut von der Arbeit nach Hause gekommen?«
»Ja.« Zuerst dachte ich: ›Nicht dank dir, Mom!‹, doch dann erinnerte ich mich an ihre Hand an meinem Gesicht, gestern in der Küche, und daran, wie sie mich angesehen hatte.
Hast du geweint?
Sie hatte mir wenigstens etwas angeboten.
»Vielleicht mache ich heute Abend Überstunden«, meinte sie.
»Kürzen die nicht die Schichten?«
»Deswegen haben ja so viele Leute gekündigt, und jetzt sitzen sie in der Klemme.« Sie senkte die Stimme. »Typischer Management-Schlamassel, oder? Falls du deinem Vater heute Abend ein Essen machen willst, ich glaube, es ist alles da für einen Thunfischauflauf.«
»Ich muss heute Abend arbeiten.«
»Schon wieder? Na dann, hoffentlich sehen wir uns bald mal, oder?«
Ich drückte den Hörer an meine Wange und stellte mir vor, er wäre ihre Hand. »Ja, Mom. Okay.«
|164| Als ich aufgelegt hatte, holte ich meine morgendliche Dose Malzbier aus dem Kühlschrank und ging nach hinten raus. Draußen war es schon ziemlich heiß; der Nebel der vergangenen Nacht war restlos verschwunden. Ich hätte draußen bleiben und mir die Wärme der Sonne in Haut und Kopf dringen lassen sollen, aber ich ging wieder ins Haus und warf mich mit der Fernbedienung aufs Sofa. Ich zappte durch die Talkshows und stellte mir vor, mein Vater wäre im Fernsehen.
Thema heute: Meine Tochter ist eine Schlampe.
Tommy könnte auch auftreten und die Story einem internationalen Publikum erzählen. Dann würden die beiden vielleicht anfangen zu streiten und irgendein Skinhead würde einen Stuhl auf Tommys Schädel zertrümmern oder meinem Dad eine blutige Nase verpassen.
›Nein‹, dachte ich, ›das ist vorbei.‹
Ich hörte die Haustür. Wer konnte das sein? Erschrocken sprang ich auf, bereit, jeden Moment zu flüchten.
Eine rothaarige Frau stand in meinem Wohnzimmer. Als ich wieder Luft bekam und klar sah, erkannte ich, dass es Stacy war.
»Hey«, sagte sie leise. »Ich habe mir schon gedacht, dass alle arbeiten sind. Außer dir. Ich wusste, du wirst wahrscheinlich zu Hause sein.« Sie stand im Eingang, in den Klamotten, in denen sie gegangen war. »Kann ich reinkommen?«
»Ja.« Ich starrte sie an und fand ihre dunklen Haare immer noch umwerfend. »Ist Darren bei dir?«
|165| Stacy runzelte die Stirn. »Nein. Ist er nicht bei der Arbeit?«
»Er ist dich suchen gefahren. In Pescadero, du weißt doch, in dieser Jugendherberge?!«
»Welcher Jugendherberge?«
»Bei diesem Leuchtturm.« Ich wurde allmählich ungeduldig. »Wo ihr mal gewesen seid. Das Poster hängt über Aprils Bettchen.«
»Oh.« Sie trat langsam ins Zimmer und wirkte dabei immer noch wie ein Gast oder eine Fremde. »Wieso dort?«
»Er dachte, es wäre … ach, egal. Wo
warst
du?«
Zögernd hängte sie ihre Handtasche von der rechten auf die linke Schulter. »Bei Kim. Erinnerst du dich noch an Corvette Kim?«
»Jaaah«, sagte ich langsam. »Ich wusste nicht, dass ihr beide noch befreundet seid.«
»Sie kam in den Laden wegen einer Kiste Bier.« Stacy griff sich in die Haare, als ob sie die Farbe fühlen wollte. »Sie erzählte von einer Party. Sie hat mich eingeladen. Ich bin mit.«
»Du warst auf einer
Party
?«
»Es ist nicht so, wie es sich anhört.«
»Zwei Tage lang?«
Sie blickte zu Boden. »Ich bin wieder hier, okay?«
»Du hättest wenigstens anrufen können.« Mir ging durch den Kopf, wie sie an diesem Abend im Badezimmerspiegel ausgesehen hatte, die Haare nass und dunkel und ohne Make-up im Gesicht. Als ob sie irgendwo anders hingehörte, nicht in ein beschissenes |166| Untergeschoss mit dieser verkorksten Familie. Jetzt war sie müde und es tat ihr leid, und ich wusste, dass ihr Darren die Hölle noch heiß genug machen würde –
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