Zieh dich aus, du alte Hippe
Sack auf den Wagenboden hinten fallen zu lassen, dabei tritt er mit gewaltiger Wucht Berto die Pistole aus dem Handgelenk. Der schreit vor Schmerz auf. Wie ein Stehaufmännchen ist der Kommissar schon wieder oben und hat Berto im Polizeigriff fest, er packt mit angewinkeltem Unterarm durch die Schulter und zieht durch Hebelwirkung Bertos Arm über seine Rippen. Dabei jagt der Wagen über die nasse Fahrbahn. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blenden die beiden Kampfhähne, sie kämpfen um Leben und Tod. Mit Getöse kracht der Wagen mit der Schnauze gegen einen Lastwagen, der nicht mehr ausweichen kann. Blutüberströmt hängt der Fahrer über seinem Lenkrad, seine Ladung ist über die gesamte Autobahn verteilt. Da sind auch schon Fanfaren und Blaulicht. Der Kommissar quetscht sich durch das Windschutzfenster ins Freie, Berto liegt wimmernd, in Blech eingeschweißt, unter seinem Fahrersitz begraben, der Wagen hat sich verkehrtrum unter den LKW katapultiert. Aus diesem Blechhaufen kann Berto nicht mehr entfliehen, sein Körper hat sich sowieso mit dem teuren Auto vermengt, man weiß nicht mehr, wo Fleisch ist und wo Metall. Er stirbt mit den Worten auf den Lippen: »... Herr Ko.. .m.. .m.. .i.. .ssar, der...«, und dann kommt noch eine Art Husten oder so. Der Kommissar ist glücklicherweise kaum verletzt, das heißt, er hat eine Platzwunde auf der Stirn, ein Pflaster ist bereits schon draufgeklebt. Er konnte die Brombeeren retten, seine Hand gleitet in das Körbchen. (Was war denn das, warum hat Berto durchgedreht? Oder wollte er ihn wirklich umbringen? Hat er vielleicht den Torso in die Büsche gelegt, nur um Kommissar Schneider zu prüfen, das heißt, ob der Kommissar vor ihm Geheimnisse hat? Warum schoß, oder besser, wollte Berto auf den Kommissar schießen? Warum gerade in diesem Moment? Hat er ihn gekränkt?) Der Kommissar wundert sich ein bißchen. Doch kann er keinen mehr fragen. Am wenigsten Berto. Ein bißchen allein fühlt der Kommissar sich schon. Die Brombeeren sind alle. Er hat sie alle aufgegessen. »O Gott, ich wollte sie meiner Frau mitbringen« Schnell geht der Kommissar in ein Blumengeschäft und holt Wicken oder so. Ein langer Tag ist zu Ende gegangen. Vor dem Polizeipräsidium herrscht gähnende Leere auf dem Bürgersteig. Eine Putzfrau ist damit beschäftigt, die breite Freitreppe im Hauptportal des Gebäudes nass zu wischen. Immer und immer wieder schlenkert sie mit dem Wischmop Wasser aus dem Eimer auf die Stufen, um es dann wieder aufzunehmen, sie wringt das Ungetüm über dem Eimer aus und so weiter. Eine Taube fliegt in Richtung Stadtmitte ab, sie hatte vorher auf dem First gehockt. Ein letzter Sonnenstrahl zwinkert der Putzfrau kurz zu, bevor er verschwindet und einem bewölktem Himmel Platz macht. Die Nacht bittet um Einlaß! Die letzten Stufen blinken wieder wie neu, die Frau macht sich das Tuch auf, das sie um ihren Kopf geschlungen hatte. Sie geht nach Hause. Als sie ihre Sachen gepackt hat und aus dem Haus heraustritt, muß sie ihren Schirm aufspannen, ein Platzregen ist hereingebrochen. Sollte ihre Arbeit für die Katz gewesen sein? Na ja, denkt sie, ist ja egal, ist ja bezahlt, und zwar besser wie die Scheiß-Maloche mit den Steckdosen, die man in Heimarbeit zusammenschrauben muß und wo man alles falsch macht und nachher gar nichts bekommt, wo man sogar viel Geld bezahlen muß, weil man etwas kaputtgemacht hat. Ihre Schritte tragen sie zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Sie ist auch dort allein. Sie ist zirka 50 Jahre alt, hat natürlich graue Strähnen, die sie auch nicht färbt, sie steht zu ihrem Alter. Und liften lassen kann sie sich sowieso nicht. Der Bus kommt mit Verspätung. Die Frau steigt ein und begibt sich auf die Suche nach einem Sitzplatz. Es ist einfach, denn sie ist auch hier wieder allein. Keuchend schleppt sich der Bus durch die engen Straßen. Müllberge, abgemeldete Autos, kein spielendes Kind mehr, die Nacht ist da. Ein unbewußter Schleier liegt über der Stadt. Wo sonst schreiende Zigarettenverkäufer und Blumenmädchen die Straßen verzaubern, herrscht nun Stille. Es erinnert an ein Gemälde von Heinrich Mann. Denn es ist ja noch nicht dunkel, wie gesagt, die Nacht kommt jetzt gerade. Im Schütze der Nacht steigt die Frau aus dem Bus und läuft schiefhackig den Bürgersteig entlang, nur noch wenige Schritte bis zu ihrer armseligen Behausung. Eine Mietskaserne der Superlative trotz dem seidenmatten Himmel. Auch hier wieder: Thomas Mann! Die
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