Zieh dich aus, du alte Hippe
hochstehender Kragen trotzt dem Fahrtwind, er trägt eine enganliegende Brille aus Kunststoff. Plötzlich sieht der Kommissar links am Fahrbahnrand im Rinnstein etwas Haariges schimmern. Es ist ein Männersack, von irgend jemand irgend jemandem abgeschnitten. Eigentlich hat der Kommissar damit nichts zu tun. Dies ist ein anderer Fall. Trotzdem hält er kurz an, um einen Blick drauf zu werfen. Er stellt sogar seinen rasenden Untersatz ab. Mit der einen Hand zieht er sich die Brille vom Gesicht, die andere Hand hat bereits eine Pinzette zur Hand und ein kleines Tütchen. Der Kommissar tut das Scrotum in die Tüte, es ist ein Fall für den Gerichtsmediziner, da muß er sowieso hin, wegen dem Haar, das er im Wald gefunden hatte. Aber erst mal geht er eben Lebensmittel einkaufen. In dem Geschäft, wo seine Frau immer einkauft, kann er anschreiben lassen. Er geht durch die Regalgänge, findet hier und da was zum Mitnehmen. »Guten Tag, Herr Kommissar!« Ein überlebensgroßer Schatten ist direkt hinter dem Kommissar. Der Kommissar erschrickt, könnte es doch wieder Beethoven sein! Doch die Stimme ist ihm sofort vertraut, es ist der Bürgermeister. »Auch einkaufen?« Der Kommissar spricht mit Nachdruck, seine Stirn zieht tiefe Falten, er will wohl älter wirken. »Ja, Sie wissen ja, meine Schwester ist verschwunden, so muß ich mich um mich selbst kümmern.« Der Kommissar schweigt. »Wissen Sie, so eine Schwester ist eine gute Erfindung. Sie kann, wenn man nicht heiratet aus beruflichen Gründen, genauso für einen sorgen wie eine richtige Frau. Ach, käme sie doch wieder. Sie hatte einen unwahrscheinlichen Putzfimmel, jetzt wird alles schmutzig.« Der Kommissar grübelt. »Was meinen Sie, könnte Ihre Schwester dem Frauenmörder zum Opfer gefallen sein?« »Tja, warum nicht. Sie war eine ausgesprochene Männerhasserin, da ist es nicht verwunderlich, daß es dann umgekehrt kommt. Auf Wiedersehen.« Der Bürgermeister läßt den Kommissar einfach stehen.
Als der Kommissar nach draußen kommt, muß er feststellen, daß Leute sein Mofettchen geklaut haben. Er sieht sogar noch die kleine Rauchwolke am Silvesterhimmel verglühen. Verdammt, entfährt es ihm. Er ist total sauer. Bei dem Gedanken daran, daß die Diebe mit dem in der Satteltasche liegenden Männersack wohl kaum was anfangen können, wird ihm aber wieder wohl. Nun muß er zu Fuß zum Gericht.
Der Mann ist zirka 55 Jahre alt und sieht aus wie aus dem Fernsehen. Er hat eine kratzige Stimme und einen verschlagenen Blick, er trägt ein kariertes Hemd und ein Halstuch. Sein Assistent ist Japaner, er trägt Pullover ohne Kragen. Der Gerichtsmediziner hält sich das Haar ganz nahe vor die Nase, in seinem Auge hat er eine Art Monokel eingeklemmt. Er raucht eine dünne Zigarette. Die Asche beschreibt eine lange Kurve nach unten. Ohne daß die Asche runterfällt, redet der Mann mit seinem Gehilfen. »Hier, die Riefen weisen in jeweils verschiedene Richtungen, ganz klar, eine Rauferei, ein Kampf hat hier stattgefunden. Die Haarfarbe ist braungrau. Das Alter der Person, und ich sage bewußt Person, ist zirka 50 Jahre alt, kann auch 52 sein. Sie, es ist nämlich eine Frau, hat ein Männerparfum aufgelegt, ich rieche es förmlich. Okohao! Bring mir den Haar-Hobel! Ich will mal sehen, wie es im Haupthaar aussieht. Hier, sehen Sie, Herr Kommissar: Eine Beule im Haaransatz, oberhalb der Wurzel, aber noch in der Kopfhaut. Das bedeutet, die Person hatte kurz vorher etwas zu sich genommen, und zwar ein Getränk. Bei fester Nahrung wäre die Beule länglich und härter, hier ist schnell getrunken worden, da sieht man die Beule ein bißchen schimmerig. Ich mache jetzt eine Teilung, so kann man eventuell sogar sagen, in welchem Stadtteil die betreffende Person wohnt bzw. arbeitet. Da, wo sie die meiste Zeit verbringt, ist nämlich ausschlaggebend.« Der Assistent kommt mit dem Haar-Hobel. »Hiel, Hell!« Er gibt dem Gerichtsmediziner das Gerät, es ist groß wie eine Nähmaschine und wiegt einen halben Zentner. Es ist nicht einfach, so ein dünnes Haar überhaupt da einzuspannen, aber dem Gerichtsmediziner gelingt es sofort. Er schaut durch eine Okularlinse in das Innere des Hobels, jetzt kann er mit Hilfe von elektronisch gesteuerten Armchen den Vorgang auslösen. Die lupenähnliche Sehöffnung gibt den Blick auf zwei mannshohe Hobel frei, die von beiden Seiten das riesige, wie ein Mammutbaum wirkende Haar aufschaben. So kommt man in den inneren Kern. »Hier, sehen Sie?« Der Mann
Weitere Kostenlose Bücher