Ziel erfasst
Verfolger seine Zielperson als Köder benutzen wollten.
In Tallinn war ihnen das misslungen, aber hier in Moskau waren sie fest entschlossen, nicht wieder zu versagen.
Clark beobachtete aus den Augenwinkeln die Eingangstür von Oleg Kowalenkos Wohnung. Der alte russische Spion hatte sie den ganzen gestrigen Tag nicht verlassen, aber das hatte Clark nicht weiter überrascht. Ein Rentner in seinem Alter würde sich nur dann auf die vereisten Moskauer Straßen wagen, wenn es wirklich nötig war. Wahrscheinlich waren in der ganzen eiskalten Stadt Zehntausende alter Menschen über das Wochenende freiwillig in ihren winzigen Wohnungen geblieben.
Am Tag zuvor hatte Clark sich in einem Einkaufszentrum ein Prepaid-Handy gekauft. Er hatte Kowalenkos Nummer im Telefonbuch gefunden und daran gedacht, den Mann einfach anzurufen und mit ihm ein Treffen an einem sicheren Ort zu vereinbaren. Aber Clark war sich nicht sicher, ob die Franzosen das Telefon des ehemaligen KGB-Agenten nicht bereits angezapft hatten, deshalb verzichtete er darauf.
Stattdessen hatte er einen Großteil des Tages auf der Suche nach einer Möglichkeit verbracht, wie er in die Wohnung des Russen gelangen könnte, ohne die Franzosen auf sich aufmerksam zu machen. Gegen zwei Uhr nachmittags hatte er eine Idee, als eine alte Frau mit einer rosafarbenen Mütze ihr Rollwägelchen aus dem Vordereingang des Gebäudes schob und in westlicher Richtung den Platz überquerte. Er folgte ihr in einen Supermarkt, wo sie einige Lebensmittel kaufte. In der Kassenschlange stellte er sich neben sie und benutzte sein eingerostetes Russisch, um mit ihr ein Gespräch anzufangen. Er entschuldigte sich für seine schlechten Sprachkenntnisse und erklärte ihr, er sei ein amerikanischer Zeitungsreporter, der gerade an einem Artikel arbeite, wie die »echten« Moskowiter mit den Unbilden des harten Winters fertigwürden.
Clark bot ihr an, ihren Einkauf zu bezahlen, wenn sie sich zu einem kurzen Interview mit ihm bereit erklärte.
Swetlana Gasanowa war von der Gelegenheit begeistert, mit diesem netten jungen Ausländer ein Schwätzchen halten zu können. Sie bestand darauf, ihn in ihre Wohnung mitzunehmen – sie lebte schließlich ja nur ein Stück die Straße hinunter – und ihm einen Tee zu machen.
Die Späher im Park achteten nicht auf ein altes Paar, das das Gebäude betrat. Außerdem war Clark dermaßen in seinen Mantel und seine Mütze eingehüllt, dass sie ihn nicht einmal erkannt hätten, wenn er direkt vor ihrer Nase gestanden hätte. Er trug sogar den Einkaufskorb, um den Eindruck zu vermitteln, dass er in diesem Haus wohnte.
John Clark plauderte eine halbe Stunde mit der alten Rentnerin. Sein Russisch war wirklich nicht sehr gut, aber er lächelte und nickte viel und trank den mit Marmelade gesüßten Tee, den sie ihm gemacht hatte, während sie ihm von der Gasgesellschaft, ihrem Hauswirt und ihrer Schleimbeutelentzündung erzählte.
Gegen sechzehn Uhr wurde sie müde. Er dankte ihr für ihre Gastfreundschaft, schrieb sich ihre Adresse auf und versprach, ihr eine Zeitungskopie zu schicken. Sie führte ihn noch zur Wohnungstür, und er versicherte ihr, dass er sie bei seinem nächsten Moskauaufenthalt bestimmt wieder besuchen werde.
Im Treppenhaus warf er die Adresse der Frau in einen Aschenbecher und ging die Treppe hinauf statt hinunter.
Clark verzichtete darauf, an Oleg Kowalenkos Wohnungstür zu klopfen. In Frau Gasanowas Wohnung war ihm aufgefallen, dass die schweren Eichentüren in diesem alten Gebäude nur mit großen, leicht zu knackenden Stiftschlössern gesichert waren. John hatte sich bereits vor einigen Tagen in einer Pfandleihe hier in Moskau einen kleinen Satz zahnärztlicher Instrumente gekauft und sie zu Dietrichen verbogen, die er in dieser Form bereits früher in Russland benutzt hatte. Die holte er jetzt aus seiner Manteltasche: einen Halbdiamanten, eine Schlange und einen Spanner. Halbdiamant und Schlange nahm er in den Mund. Nachdem er sichergestellt hatte, dass sich außer ihm niemand im Treppenhaus aufhielt, führte er den Spanner ins Schlüsselloch ein, drehte ihn ganz leicht gegen den Uhrzeigersinn und hielt das Instrument mit seinem rechten kleinen Finger in Spannung. Dann holte er mit seiner linken Hand die Schlange aus dem Mund und schob sie über dem Spanner in das Schlüsselloch. Er hielt die Spannung mit seinem kleinen Finger aufrecht und bewegte gleichzeitig mit beiden Händen die Schlange über den federgelagerten Stiften vor und
Weitere Kostenlose Bücher