Ziel erfasst
ihr eigenes Flugfeld, und gleich daneben gab es einen weiteren Bahnhof in Tjuratam.
Die erste Startrampe war hier in den Fünfzigerjahren am Beginn des Kalten Kriegs errichtet worden. Von hier war im April 1961 Juri Gagarin als erster Mensch ins Weltall gestartet, dreißig Jahre später hatten die Zeiten der kommerziellen Raumfahrtindustrie begonnen. Inzwischen war Baikonur zum Zentrum der russischen kommerziellen Raumfahrt geworden. Russland hatte das Gelände von Kasachstan gepachtet, bezahlte diese Pacht jedoch nicht mit Dollar, Rubel oder Euro, sondern mit Militärmaterial.
Seit beinahe zwanzig Jahren ging Georgij Safronow jetzt durch diese Hallen, stand an diesen Startrampen und fuhr schwere Lastwagen durch diese Steppe. Er war das Gesicht des neuen Russlands auf dem Gebiet der Weltraumindustrie, so wie Gagarin ein halbes Jahrhundert früher das Aushängeschild der sowjetischen Raumfahrt gewesen war.
An seinem ersten Tag nach seiner Rückkehr nach Baikonur, dem Tag vor dem geplanten Start der ersten der drei Dnjepr-Raketen, saß der fünfundvierzigjährige Safronow in seinem provisorischen Büro im Kontrollzentrum, das etwa acht Kilometer westlich der drei Startsilos lag, die für den Start der Dnjepr-Raketen vorgesehen waren. Das Dnjepr-Areal war zwar einige Dutzend Quadratkilometer groß, im Vergleich zu den Startanlagen für die Sojus-, Proton-und Rokot-Raketen des Kosmodroms jedoch relativ klein.
Georgij schaute aus seinem Fenster im ersten Stock in den leichten Schneefall hinaus, der den Blick auf die entfernt liegenden Startanlagen trübte. Irgendwo da draußen standen in drei Silos drei dreißig Meter hohe Raketen, denen nur noch ihre Spitzen fehlten. Bald würden sie diese bekommen, und dann würden diese drei Betonlöcher zum wichtigsten und gefürchtetsten Ort auf diesem Planeten werden.
Ein Klopfen an der Tür seines Büros riss ihn aus seinen Gedanken.
Alexander Werbow, Safronows Direktor für Startoperationen, lehnte sich in die Tür. »Entschuldigung, Georgij, aber die Amerikaner von Intelsat sind da. Da ich sie nicht zum Kontrollraum mitnehmen kann, habe ich ihnen gesagt, ich schaue mal, ob Sie beschäftigt sind.«
»Es wäre mir ein Vergnügen, meine amerikanischen Kunden zu treffen.«
Safronow stand auf, als sechs Amerikaner das kleine Büro betraten. Er lächelte zuvorkommend und schüttelte jedem die Hand. Sie waren hier, um den Start ihres Kommunikationssatelliten zu beobachten. Tatsächlich würde jedoch der Nutzlastcontainer, der ihren Satelliten enthielt, gegen einen Container ausgetauscht werden, der im Moment noch in einem Eisenbahnwaggon einige Kilometer vom Kosmodrom entfernt unter Bewachung stand.
Während er Hände schüttelte und Höflichkeiten austauschte, wusste er, dass diese fünf Männer und die eine Frau schon sehr bald tot sein würden. Sie waren Ungläubige, und ihr Tod war belanglos, aber dennoch konnte er den Gedanken nicht abschütteln, dass diese Frau ziemlich hübsch war.
Georgij verfluchte seine Schwäche. Er wusste, dass sein Fleisch im Jenseits belohnt werden würde. Er erinnerte sich selbst daran, während er die attraktive Geschäftsfrau anlächelte und ihr tief in die Augen sah, bevor er zum nächsten Amerikaner weiterging, einem kleinen, fetten, bärtigen Mann mit einem Doktorgrad in irgendetwas völlig Unwichtigem.
Nachdem die Amerikaner kurze Zeit später sein Büro wieder verlassen hatten, kehrte er an seinen Schreibtisch zurück. Er wusste, dass er diesen ganzen Höflichkeitszirkus noch einmal mit seinen japanischen und britischen Kunden wiederholen musste. Das Startzentrum war offiziell für Ausländer verboten, aber Safronow hatte den Repräsentanten seiner Kundenfirmen erlaubt, zumindest die Büros im ersten Stock zu betreten.
Den ganzen Tag über hatte er die Vorbereitung der Raketen überwacht. Eigentlich gab es dafür andere Mitarbeiter, immerhin war Georgij ja der Präsident des Unternehmens, aber Safronow hatte sein persönliches Engagement damit erklärt, dass es sich hier um den ersten Mehrfachstart der Dnjepr in der Geschichte handele und ihnen für die drei Starts nur ein Fenster von sechsunddreißig Stunden zur Verfügung stehe. Deshalb wolle er persönlich sicherstellen, dass alles nach Plan verlaufe. Dies könnte ihnen künftig noch weitere Kunden verschaffen, wenn mehrere Unternehmen gleichzeitig ihre Satelliten in einem ganz spezifischen Zeitfenster in den Weltraum befördern wollten. Die Dnjepr-Rakete konnte in einem einzigen
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