Ziel erfasst
im Moment höchst praktischer Natur. Anscheinend hatte er gerade einen Spion für ein Land angeheuert, das er gar nicht repräsentierte.
Er hatte seit Jahren keine direkte Arbeitsbeziehung mit London mehr, obwohl ihn einige der alten Hasen im Legoland, wie der Spitzname des SIS-Hauptquartiers an der Themse lautete, von Zeit zu Zeit anriefen, um sich über die eine oder andere Angelegenheit zu erkundigen.
Vor einem Jahr hatten sie seinen Namen sogar an einen amerikanischen Dienst weitergegeben, dem er dann bei einem kleinen Einsatz hier in Peschawar geholfen hatte. Diese Yanks waren wirklich erstklassig gewesen. Sie gehörten zu den besten Feldagenten, mit denen er jemals zusammengearbeitet hatte. Wie waren noch einmal ihre Namen? Genau, John Clark und Ding Chavez.
Embling hatte seine kleine Zwischenmahlzeit beendet und säuberte sich die Finger mit einer Serviette. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Wenn sich al-Darkur als sauber herausstellte, würde er ihn als Agenten führen, ohne ihm zu enthüllen, dass er dessen Informationen vorerst gar nicht weiterleitete.
Wenn Embling dann über etwas Wichtiges und gut Dokumentiertes verfügte, würde er ganz bestimmt auch einen Kunden dafür finden.
Der gewichtige Engländer trank den Rest seines Tees und lächelte über die Kühnheit seines Plans. Eigentlich war er sogar ziemlich lächerlich.
Aber warum in Herrgotts Namen sollte er es nicht probieren?
18
J ack Ryan sr. stellte sich vor einen bodenlangen Spiegel, der an der Wand zwischen zwei Garderobenschränken angebracht war. Die heutige Präsidentschaftsdebatte in der Case Western Reserve University in Cleveland fand im Emerson-Sportzentrum, auch als Veale Center bekannt, statt, dessen Halle ein riesiges Publikum aufnehmen konnte. Es war zu merken, dass hier normalerweise Basketball gespielt wurde. An der Wand der Umkleidekabine, die man heute für den Präsidentschaftskandidaten in eine Garderobe umgewandelt hatte, hingen großformatige Aufnahmen von Spartans-Spielern. Im danebenliegenden Waschraum, der jetzt ganz allein für Ryan bestimmt war, gab es sage und schreibe ein Dutzend Duschen. Er brauchte keine von ihnen. Er hatte bereits im Hotel geduscht.
Die heutige Debatte zwischen ihm und Kealty war die zweite der drei, auf die sich die beiden Parteien geeinigt hatten. Auf dieser hatte vor allem Jack bestanden. Die zwei Kandidaten würden nebeneinander an einem Tisch sitzen, und ein einziger Moderator würde ihnen Fragen stellen. Das Ganze sollte nicht ganz so formell und steif wie sonst üblich sein. Kealty hatte das zuerst abgelehnt, da es ihm nicht »präsidial« genug erschien, aber Jack war hart geblieben, und sein Wahlkampfleiter Arnie van Damm hatte sich in langen Hinterzimmerverhandlungen durchgesetzt.
Das Thema heute Abend war die Außenpolitik. Jack wusste, dass er Kealty auf diesem Gebiet voraus war. Die Umfragen zeigten es, und auch Arnie war dieser Meinung. Trotzdem war Jack ziemlich angespannt. Er schaute zum x-ten Mal in den Spiegel und trank noch einen Schluck Wasser.
Eigentlich mochte er diese allzu kurzen Momente der Einsamkeit. Cathy hatte die Garderobe gerade eben verlassen und war auf dem Weg zu ihrem Sitz in der ersten Reihe. Ihre letzten Worte klangen ihm noch in den Ohren, während er sich im Spiegel betrachtete.
»Viel Glück, Jack. Und vergiss nicht, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen!«
Neben Arnie und seiner Redenschreiberin Callie Weston war Cathy in diesem Wahlkampf seine engste Vertraute. Sie diskutierte mit ihm nur selten über Politik, außer wenn es um Gesundheitsfragen ging. Aber sie hatte ihren Mann bei Hunderten von Fernsehauftritten genau beobachtet und gab ihm immer wieder Ratschläge, wie er sich ihrer Meinung nach in der Öffentlichkeit darstellen sollte.
Cathy selbst hielt sich für diese Rolle ideal geeignet. Niemand auf der Welt kannte Jack Ryan besser als sie. Wenn sie ihm in die Augen schaute oder dem Klang seiner Stimme lauschte, wusste sie genau, wie er sich fühlte, wie es mit seinen Energiereserven stand oder auch ob er sich einen Nachmittagskaffee genehmigt hatte, den sie ihm auf gemeinsamen Reisen eigentlich nicht erlaubte.
Normalerweise war Jack ausgesprochen telegen. Er wirkte natürlich und überhaupt nicht steif. Er kam als der Mann rüber, der er tatsächlich war: ein anständiger, intelligenter Kerl, der zugleich einen starken Willen besaß und hoch motiviert war.
Gelegentlich bemerkte Cathy jedoch auch Dinge, die ihm nicht gerade halfen, den
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