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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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kann nur noch schlimmer werden. Nie wieder wird mich eine Frau in die Arme schließen. Ich bin hässlich, sie ist fort. Zieht mir den Stecker! Verlangt bloß nichts mehr von mir, ich habe keine Kraft mehr.
     
    Der Körper reagiert nicht mehr. Körpertemperatur 34, Blutdruck 60. Ich hebe den Kopf, ich kann meinen Blick nicht fokussieren. Von Zeit zu Zeit versuchen die Pflegerinnen, mich zu duschen. Dann versinke ich in Schwärze. Ich habe keine Lust mehr, da wieder herauszukommen.
     
    Ich liege im Bett. Mein Gesicht juckt wieder von der Allergie. Auf meiner Stereoanlage höre ich die Goldberg-Variationen. Genial.
     
    Vielleicht beende ich diesen Bericht dereinst, weil eine Frau an meiner Seite ist und ich meinen zweiten Atem wiedergefunden habe. Durch ihre Gegenwart in die Welt der Menschen zurückgeholt.
     
    Ich muss ins Krankenhaus. Ich friere schon beim Aufwachen.

Stundengebet
    Der Kater ist gestorben.
    Er hieß Fis, aber nun hat er seinen letzten Ton ausgehaucht. Seit einigen Tagen hatte er nicht mehr gegessen, genau wie ich. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich auf mein Bett zu hieven. Ich habe ihn durch die Glasscheibe meiner Zimmertür beobachtet, wie er sich im Gang zusammenkauerte. Er miaute seltsam, ohne den Kopf zu heben. Ein einziges Mal hat er ein Stück zarten Thunfisch angenommen. Laetitia meinte, ich solle ihn zum Tierarzt bringen lassen, aber ich habe mich taub gestellt. Abdel hat ihn schließlich hingebracht, der Tierarzt rief bei mir an. »Wahrscheinlich ein Virus, aber er hat verdickte Lymphknoten, das sollte man sich mal ansehen.« Abdel hat ihn wieder mit zurückgebracht und in seiner letzten Nacht war er bei mir. Am Morgen kam dann das Ende.
     
    Kein Wort über Fis, den Kater, der mir in meiner gewohnten Schlaflosigkeit Gesellschaft leistete.
     
    Einsamkeit, verhasste Freundin! Ich werde freudig in das Dunkel aufbrechen, leichten Herzens. Die Frische ihres Grabes teilen. Berühre meine Stirn, bleib heute Nacht an meiner Seite, ich will dich atmen hören. Gestern hat ein Säugling neben mir seinen Mittagsschlaf gehalten. Ich habe mit ihm gesprochen. Der Körper ist einsam, der Kopf auch. Drück meine Zigarette aus. Ich habe Durst. Später wird es nur noch schlimmer werden. Verführen muss man, lächeln. Eine Mauer aus Tränen. Weiße, gleißende Stille.
     
    Die Einsamkeit verfolgt mich. Sie ist es, die meine Zukunft am meisten trübt. Gefangen in meiner Lähmung, den körperlichen und seelischen Qualen, von den Blicken der anderen auf Distanz gehalten – wie soll ich weiterleben, wenn meine Kinder einmal fort sind, selbst wenn ich in meinen Träumen noch zu ihrem Leben gehöre? Schon jetzt sehne ich mich oft danach, abgeschieden in einer Spezialeinrichtung zu liegen, wo man mir die Schmerzen nimmt, auf Kosten jenes Rests an Klarheit, der mir noch geblieben ist.
     
    Wie wird es in einigen Jahren sein, wenn sich eine neue Einsamkeit zu der jetzigen gesellt, während sich mein körperlicher Zustand weiter verschlechtert hat? Man muss mir eine Zukunft gewähren. Sabrya darf nicht nur ein Traum bleiben.
     
    *
     
    Nehmen wir einmal an, Er hätte recht. Am Jüngsten Tag würden die Toten auferstehen. Nicht irgendeine Reinkarnation, sondern eine echte Auferstehung des Körpers. Der auferstandene Christus in seiner menschlichen Gestalt, samt seinen Wundmalen, in die Thomas den Finger legen darf. Aber Achtung, keine Dummheiten. Du wirst mich nicht mit meinem gelähmten Körper wiedererwecken. Nein, sondern verklärt wie dich. Sogar Maria Magdalena hat eine Weile gebraucht, bis sie dich wiedererkannt hat.
    Er war strahlend schön. Auf dem Foto in Laetitias Zimmer bin ich auch schön, in meinem kragenlosen hellblauen Hemd, vor einem Hintergrund aus Mimosen am Lake Geneva in Indiana. Dort hatten wir ein kleines Holzhäuschen.
    Drei Tage lang haben sie mich auf derselben Chaiselongue aufgebahrt wie Béatrice, in meinem anthrazitgrauen Anzug, einem weißen Hemd mit Cutaway-Kragen, einer grau-weiß karierten Krawatte von Großvater, das Einstecktuch signiert von Christ Lacroix, die Haare kurz wie immer. Dass sie mich mit einer Karodecke zugedeckt haben, die sich überhaupt nicht mit dem Anzug verträgt, ärgert mich – das sieht so behindert aus und kalt ist mir auch nicht. Als Christus seinen Jüngern erscheint, sind sie überrascht, weil er nicht durch die Tür oder durch das Fenster gekommen ist. Das ist der Vorteil, wenn man als Verklärter zurückkommt. Ohne Behinderung oder Schmerzen liege ich

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