Ziemlich beste Freunde
Nachbarin sagt, es sei die Sprache des Teufels. Ihre Stimme ist heiser und brüchig, nicht menschlich, so viel steht fest. Sie liegt nackt auf ihrem Bett und verbreitet ihre Verrücktheit im ganzen Raum.
Ich versuche der anderen Nachbarin zu erklären, dass wir sie nicht verteufeln sollten; hinter dieser ganzen unverständlichen Aggression muss irgendwo ein Wesen stecken, das leidet. Aber es ist verlorene Liebesmüh. Die Schwestern haben es auch auf sie abgesehen. Sie ist animalisch: Ihre Bedürfnisse, auch die natürlichsten, befriedigt sie brüllend und mit einer solchen Wut, dass es eine Stunde dauert, bis ihr Zimmer danach wieder aufgeräumt ist. Ja, sie ist verrückt oder zumindest sehr einsam. Und die andere, die mindestens neunzig sein muss, fängt wieder an: »Ich habe es satt, ich kann nicht mehr gehen, ich bin so müde, was mach ich denn jetzt, komm doch mal, Monsieur, schau dir das an, ganz kurz nur, eine Minute, komm doch mal …«
Sie hat immer noch nicht verstanden, dass ich gelähmt bin. Ich rufe Abdel, der sie wegschickt. Manchmal fährt sie sich mit der Hand übers Gesicht, als weine sie, kommt ins Zimmer und fragt: »Was soll nur aus mir werden?«
Dann wird sie wieder zum kleinen Mädchen, ganz allein und schutzlos. Wie kann man alte Leute nur in diesem Zustand sich selbst überlassen?
Abdel, holen Sie mich hier raus!
*
Diesmal kriegen sie mich noch nicht! Ich halte nun schon fast zwanzig Jahre durch. Wenn es eine Ruhmeshalle für Tetras gäbe, würde ich dort einen Ehrenplatz bekommen. Das ist aber nicht mein Verdienst:
– Ich habe das Glück, nicht in einer Spezialeinrichtung zu wohnen. Wie soll man überleben, wenn man Tag und Nacht von der Verzweiflung der anderen Schwerbehinderten umgeben ist, sie schluchzen und schreien hört, ohne etwas tun zu können, an Zimmern vorbeigehen muss, die gerade desinfiziert werden?
– Die Schmerzen halten die Wut in mir wach; so kann ich nicht wegdriften.
– Es ist immer eine wunderbare Frau bei mir. Béatrice, die ich auf der letzten Barke, die den Fluss überquert, zurücklassen musste; Gefährtinnen, Clara und, an der Küste des Maghreb, Khadija.
– Die Kinder: die Älteren, Laetitia und Jean-Robert, sowie Sabah, »Morgenröte« – und unser Nesthäkchen Wijdane, »tiefe Seele«.
– Abdel, der Fährmann zwischen dem Flussufer und der Mittelmeerküste.
Und ich liebe den Geschmack des Kaffees morgens beim Frühstück.
Zu meinem sechzigsten Geburtstag hat Khadija eine Überraschungsparty in unserem Haus in Essaouira organisiert. Sie hat alles so arrangiert, dass ich erst aus Marrakesch eintreffe, als die rund hundert Gäste schon da sind. Meine Kinder, meine Mutter, Tante Éliane, meine Schwiegermutter Lalla Fatima und ihre Familie, Anne-Marie, die korsische Familie, Freunde aus Frankreich und aus Marokko, meine Gleitschirmgefährten Yves und Max, Abdel, Éric und Olivier, die Regisseure des Films Ziemlich beste Freunde .
Erschöpft von der Reise und tief bewegt, halte ich aus dem Stegreif eine kleine Rede, um den Anwesenden und den netten Leuten am Klavier zu danken, die uns einen wunderbaren musikalischen Abend bescheren werden.
»Schöne Gemahlin,
zuerst ein Gedanke an die, die uns verlassen haben: meine liebe Schwiegermutter, die ihrer Tochter Béatrice mit so viel Mut gefolgt ist, Granny und mein Vater, der Herzog, der von uns gegangen ist, nachdem er seine letzte Enkeltochter, Wijdane, kennengelernt hatte.
Sechzig Jahre! Das hatte ich ganz vergessen! Fleisch und Gemüse zählt man nicht zusammen – das ist ein Scherz von Abdel –, zweiundvierzig gesunde und achtzehn behinderte Jahre, von denen jedes für sieben zählt, wie bei Hunden. Rechnet selbst nach!
Ich danke Abdel, der mir seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus vor zwanzig Jahren zur Seite steht. Er war für mich da, als Béatrice starb, er hat mich und meine Kinder in diesen schwierigen Jahren begleitet, mir mehrmals das Leben gerettet und mich dann nach Marokko gebracht, wo ich Khadija kennengelernt habe.
Ich habe die Lebenslust wiedergefunden.«
Abdel, das ist der Schutzteufel, der, nachdem er mit seinen Jugendsünden abgeschlossen hatte, überraschend und unerwartet zu meiner Lebenshilfe geworden ist. Dieser Desperado, der allen feindselig gegenüberstand, gegen alles und jeden rebellierte, ist mittlerweile verheiratet und Vater dreier Kinder. Er hat ein Unternehmen gegründet, in dem er Hühner in Käfige sperrt. Wer hätte
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