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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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mit Nudeln, Tomaten und frischem Gemüse zu besorgen.
    Der Stolz der Männer war ein kleines Transistorradio, mit dem sie Musik hören und einen Draht zur Welt herstellen konnten. Nur war das Gerät nicht mehr zu benutzen, weil die Batterien leer waren. Als ich ihnen einige aus meiner Kameraausrüstung überließ, wollten sie mich aus Dankbarkeit zu ihrem Bulibaschen ernennen. Ganz im Ernst. Mit Elena und Vesselin als dolmetschendem Dienstpersonal. Jedenfalls hatten wir viel Spaß miteinander, und ich knipste zum Abschied einige lustige Fotos, die sich hervorragend als Anschauungsmaterial dafür eignen, dass den offensichtlichen Aussagen von Bildern nicht zu trauen ist. Auf den Fotos torkeln die Männer durch die Gegend wie berauscht, in bester Laune, volle Schnapsflaschen an den Lippen. Nur waren die Xoraxane keineswegs beduselt. In ihrem Übermut hatten sie perfekt Betrunkene gemimt. In den Flaschen war reines Wasser. Wir verließen die Berge mit der Erinnerung an anrührend herzliche Menschen und mit der Befürchtung, dass die Pilzsucher aus Peshtara bis zum Winter wahrscheinlich kein Geld mehr verdienen würden.
    Auch die Roma in Yagodovo, einer Ortschaft südöstlich von Plovdiv, waren in ihrer ökonomischen Existenz bedroht, durch Gesetzmäßigkeiten, die sie nicht gemacht hatten und denen sie sich ohnmächtig ausgeliefert sahen. Viele Familien verstanden sich auf Metallarbeiten. Petar Stojanov und Stojan Mihailor verzinkten Dachrinnen und Regenrohre und stellten Destillierkessel und Kupfertöpfe her. »Alles solide Handarbeit«, wie sie betonten. Nun wurden die Läden und Wochenmärkte von billiger Fabrikware überschwemmt. Erstanden die Hausfrauen ihre Kochtöpfe früher bei den Zigeunern, so kauften sie nun die Töpfe Made in China. Zwar hielt der ganze Krempel aus Fernost nur von Zwölf bis Mittag, doch machte er den Roma enorme Konkurrenz. »Wie sollen wir ankommen gegen diesen Blechschrott?«, fragte der Verzinner Ivan Petrov. »Wenn die Töpfe aus China kaputt sind, kann man sie nicht mal mehr reparieren. Die Leute werfen sie einfach weg und kaufen sich neue.«
    Die Hoffnung, mit der Erweiterung der Grenzen der Europäischen Union 2007 verbessere sich die Lage der Zigeuner, erfüllte sich nicht. Weder in Bulgarien, noch bei den rumänischen Nachbarn. »Viele Roma halten mit der rasanten Entwicklung nicht Schritt. Da tickt eine soziale Zeitbombe. Nicht nur in Rumänien. In ganz Europa. Denn ein Großteil der Zigeuner ist nur sehr schwer zu integrieren.« Das sagt kein rechter Populist, sondern Nicolae Anuşcă, der heute die nationale Caritas in Rumänien leitet. Nicolae ist ein erfahrener und umgänglicher Mensch. Schon früher, als Direktor der Caritas in Blaj, genoss er unter den Roma Achtung und Ansehen, weil er sich kompetent und unbürokratisch für die Leute einsetzte. Vor allem für die Kinder.
    Hin und wieder fuhr Nicolae von Blaj zu den Zigeunern ins nahegelegene Copşa Mică. Als ich ihn 2010 begleitete, war die Holzbrücke über die Târnava noch genauso holprig wie bei meinem ersten Besuch zwanzig Jahre zuvor. Keine zwei Minuten, da war unser Auto mit dem Caritas-Emblem von Menschen umringt, die wussten, dass ihre Bittgesuche bei Nicolae Anuşcă nicht auf taube Ohren stießen. Eltern holten ihre kranken Kinder hervor und baten um Hilfe. Mir schien, als habe die plötzliche Anwesenheit Nicolaes die elterliche Sorge um ihre Kinder, wenngleich nicht ausgelöst, so doch maßgeblich beflügelt. Zumindest hatte sich vorher offenbar niemand um Gheorghe gekümmert, einen zehnjährigen Junge, der mit seinem verwachsenen Rücken ausschaute wie ein gebeugter, alter Mann. Oder um Maria, sechs Jahre alt, die an grauem Star litt und allmählich erblindete. Oder um Daniel, der mit seinen deformierten Sichelfüßen kriechen, aber nicht laufen konnte. Oder um Alina. Als Alina Moldovan geboren wurde, prophezeiten die Ärzte im Bezirkshospital von Alba Iulia, das Mädchen werde höchstens fünf Jahre alt. So zumindest erzählte Alinas Mutter Ana. Nun war Alina siebzehn und sowohl geistig wie körperlich schwer behindert. Inmitten von Gerümpel dämmerte das blinde Mädchen vor sich hin, allein, abgeschoben in einem kaputten Rollstuhl auf einen Hinterhof neben einem Bretterverschlag, in dem früher Schweine grunzten. »Als wir noch Geld hatten«, sagte Ana Moldovan, »kauften wir im Sommer ein Ferkel, und zu Weihnachten haben wir geschmaust.« Alina kaute derweil auf ihren Fingern. Das machte sie immer,

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