Zigeunerprinz
den Gendarmen und Roderic niederwarf. Applaus brandete auf, erstarb aber gleich wieder, da die Musik erneut einsetzte. Es war eine langsame, traurige Melodie, und die Bewegungen der sich erhebenden Tänzerin waren weich und kontrolliert und vollkommen zeitlos in ihrer verführerischen Kraft. Sie tanzte für die Gendarmen, zog ihr Kopftuch über ihre Gesichter und über ihre Schultern, aber am allermeisten tanzte sie für Roderic.
Das Lächeln des Prinzen war höflich, und aus seinen Augen strahlte Anerkennung. Mara, die ihn beobachtete, spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie wandte den Blick ab. Dämon saß bettelnd zu ihren Füßen und schaute sie traurig an. Sie überließ ihm das Rippenstück, das sie in der Hand hielt, wischte sich ihre Finger ab und nahm einen großen Schluck. Die Wärme des Weines in ihren Adern war halb angenehm, halb schmerzlich. Nichts mehr war von ihrer Zufriedenheit zu spüren. Der Grund war nicht schwer zu erraten. Sie war eifersüchtig.
Man hatte sie gezwungen, einen Prinzen zu verführen, und sie hatte den Fehler begangen, sich in ihn zu verlieben. Das war dumm gewesen, dumm und sinnlos und demütigend. Er stammte aus einer anderen Welt, einer Welt voller Privilegien und Macht und sorgfältig arrangierten Verbindungen. Selbst wenn sie sich unter normalen Umständen kennengelernt hätten, wäre es unwahrscheinlich gewesen, daß sie die Unterschiede in ihrem Rang überwunden hätten. Jetzt, nachdem sie ihn betrogen und sie beide in einen Skandal verwickelt hatte, war es unmöglich. Sie konnte einzig darauf hoffen, daß er nie erfuhr, was sie empfand, und ihren Stolz bewahren.
Sie wandte sich von Roderic ab, und ihr Blick fiel auf Luca. Der Zigeuner saß da, den Arm auf das angewinkelte Knie gestützt und schenkte Juliana seine ganze Aufmerksamkeit. Der Feuerschein leckte über sein dunkles Antlitz und beleuchtete mit orangefarbenem Schimmer die bloßliegenden Gefühle darauf. Weil Mara dasselbe Begehren spürte, das sie in den Augen des Zigeuners sah, erkannte sie es sofort. Das neueste Mitglied in der Truppe war in Roderics Schwester verliebt.
Der Tanz ging weiter. Jetzt gab ein Zigeuner den Musikern ein Zeichen, langsamer zu spielen, und begann sich im Rhythmus zu bewegen. Mit majestätischer Sicherheit posierte und schritt er die Menge ab, die sich um das Feuer versammelt hatte. Schließlich erwählte er mit werbendem Lä-cheln eine Frau. Sie gesellte sich zu ihm, und gemeinsam, Rücken an Rücken und mit ausgestreckten Armen, glitten sie durch das Dunkel, wirbelten plötzlich herum, so daß sie einander anblickten, kamen sich näher, sprangen auseinander, hielten sich fest und wiegten sich im Herzschlag der Musik. Die Hände auf den Hüften des anderen und mit leidenschaftlichem Blick bewegten sie sich in einem Ritual suggestiver Werbung aufeinander zu, voneinander weg. Die Musik wurde schneller; schneller tanzten auch sie, immer schneller. Bis plötzlich der Mann die Erwählte in seine Arme zog, sie durch die Zuschauer lenkte und mit ihr in der Dunkelheit verschwand.
Die Nacht schritt voran. Die Gendarmen, denen der starke Wein zusagte, begannen zu singen, und die Zigeuner stimmten ein. Sie sangen alte Bauernweisen und Strophen der beliebtesten Operetten; Arien aus Donizetti- und Belliniopern; und gewagte Couplets aus den Cabarets des Rive Gauche. Als ihnen endlich die Lieder ausgingen, war der Pferdedieb vollkommen vergessen. Jedenfalls fühlten sie sich den Zigeunern so verbunden, daß die Gendarmen, als man ihnen ein zweites Mal anbot, nach dem Pferd zu suchen, entrüstet ablehnten. Kurz darauf ritten sie davon, um ihrem Vorgesetzten Bericht zu erstatten.
Die Kinder wurden zu Bett gebracht. Grandmere Helene nickte in ihrem Sessel ein. Roderic hob seine Mandoline wieder auf und stimmte ein leises, verzauberndes Lied an. Die Violinen nahmen es auf, die Melodien verschmolzen, stiegen an und fielen, leidenschaftlich flehend und herzergreifend süß.
Die Musik durchdrang Mara und rührte an den Schmerz tief in ihrer Brust. Von dem unbestimmten Gefühl getrieben, allem zu entkommen, schüttete sie den Rest ihres Weines hinunter und erhob sich. Sie drängte sich aus dem Kreis um Rolf, umging ein Kochfeuer und folgte der abgrenzenden Reihe der Wohnwagen. Sie erreichte eine Öffnung zwischen zweien und zwängte sich hindurch. Dahinter lag windgepeitschte Dunkelheit, an manchen Stellen von einem Feuer durchbrochen, wo noch mehr Zigeuner lagerten. Es war kalt, sobald man vom
Weitere Kostenlose Bücher