Zigeunerprinz
ruthenischen Haus auf sich selbst gestellt. Mara verbrachte einen Abend damit, an ihren Vater zu schreiben, eine Aufgabe, die sie lange aufgeschoben hatte. Sie begann und zerriß ihre Briefe so oft, daß sie beinahe ihren gesamten Vorrat an Schreibpapier aufgebraucht hätte. Es schien keine angemessene Weise zu geben, das Geschehene wiederzugeben, keine Möglichkeit, sich zu erklären, ohne daß es so klang, als würde sie nach Ausreden für ihr Benehmen suchen oder die Schuld für alles ihrer Großmutter zuweisen. Schließlich hatte sie die traurige Geschichte so einfach und vollständig wie möglich niedergeschrieben und den Brief versiegelt, bevor sie es sich noch einmal anders überlegen konnte.
Roderic trat an sie heran, als sie den Brief für Sarus bereitlegte, der ihn auf die Post bringen sollte. Er schlenderte mit ihr in den Salon. Ihre Beziehung zueinander war ihr frisch im Gedächtnis, nachdem sie sie eben geschildert hatte. Im Trubel der täglichen Ereignisse war es ihr gelungen, sich etwas davon zu distanzieren, doch nun wurde sie wieder unruhig.
»Die Welt treibt auf den Untergang zu und Frankreich in die Anarchie, aber daran tragen Sie keine Schuld. Warum grämen Sie sich also?«
»Ich gräme mich nicht«, sagte sie und milderte die Grimmigkeit ihres Mienenspiels, indem sie ihre Mundwinkel zu einem Lächeln verzog. Augenblicklich wurde sie wieder ernst. »Nein, ich dachte an Ihren Vater. Ihm scheint die monarchische Etikette nicht allzu viel zu bedeuten, ganz bestimmt macht er sich wenig aus Zeremonien. Ihre Mutter erhebt, trotz ihrer Verbindung zu den Bourbonen, keinerlei Ansprüche, von blauem Blut zu sein. Warum also stellt sich König Rolf gegen mich? Liegt das an meinem Charakter? Meinem Aussehen? Oder hat es damit zu tun, daß ich Sie in den Mordanschlag auf Louis Philippe verwickelt habe? Natürlich macht das im Grunde keinen Unterschied, trotzdem würde ich es gern verstehen.«
Roderic beobachtete, wie sich die Emotionen auf ihrem Gesicht abwechselten und mußte ihrem ruhigen Mut auf der
Suche nach der Wahrheit Anerkennung zollen. Sie war keine feurige Frau, war nicht leicht zu erzürnen und nicht freigiebig mit ihrer Leidenschaft, und doch brannte in ihr eine ruhige, unauslöschliche Flamme. Er erwies ihr Respekt, indem er ihr anbot, was sie zu wissen verlangte.
»Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Es ist viel wahrscheinlicher, daß meine Fehler seinen Unwillen anfachen. Sie nehmen an, daß er mich beschützt, das ist ein Fehler. Viel eher würde er Sie beschützen.«
Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Das ist nicht möglich.«
»Er ist ein liebender Vater - und ein listenreicher dazu, aber ihm würde, glaube ich, kaum der Gedanke kommen, daß ich seinen Schutz brauchen könnte.«
»Aber warum sollte er mich beschützen?«
»Nachdem sein Verstand so listenreich arbeitet, hegt er den Verdacht, daß ich Sie in einem Streich verführen und einen Anschlag vereiteln wollte.«
Sie starrte ihn an. »Sie meinen, er glaubt, Sie hätten de Landes ausgeschickt, Grandmere Helene zum Glücksspiel zu verleiten, damit er mich dazu zwingen kann, seine Befehle zu befolgen? Warum sollte de Landes so etwas tun?«
Ihr Verstand arbeitete schnell, das durfte er nicht vergessen. Oder sie hatte die Möglichkeit schon früher in Betracht gezogen. »Damit ich ihm bei dem Anschlag auf Louis Philippe helfe.«
»Aber Sie haben ihm nicht geholfen. Sie haben den König beschützt.«
»Was ein höchst elegantes Täuschungsmanöver wäre.«
Sie legte die Hand an die Stirn und versuchte, klar zu denken. Was er sagte, ergab auf schreckliche Weise Sinn. Plötzlich klärte sich ihre Miene. »Nein. Bis zu jener Nacht im Zigeunerlager wußten Sie gar nicht, daß es mich gibt.«
»Sie waren bereits einige Wochen in Paris. Vielleicht hatte ich Sie irgendwo gesehen, auf der Straße oder im Theater? Vielleicht hatte ich aufgrund eines Schriftwechsels zwischen Ihrer Großmutter und meiner Mutter erfahren, daß Sie kommen, und diskrete Erkundigungen angestellt. Sobald ich Sie gesehen hatte, hätte ich beschließen können, Sie zu mei-ner Geliebten zu machen, was unmöglich gewesen wäre, wenn wir uns im respektablen Familienkreis kennengelernt hätten.«
»Ganz bestimmt wäre Ihnen klargewesen, daß unsere -die Verbindung ruchbar werden und ein Skandal folgen würde?«
»Vielleicht sollte sie ursprünglich nicht länger als ein paar Nächte währen. Vielleicht war ich, nachdem ich Sie einmal in meinen Armen
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