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Zigeunerprinz

Titel: Zigeunerprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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richtig gemacht hatte. Andere schoben alles auf die für die Jahreszeit ungewöhnliche Wärme, die es den einfachen Leuten gestattete, aus ihren Löchern zu kriechen und sich über andere Dinge Gedanken zu machen als darüber, wie man den kalten, nassen Winter überleben sollte. Manche runzelten die Stirn und schüttelten den Kopf. Manche lächelten.
    Es war schwer, wenn nicht unmöglich, die Haltung Roderics und seines Vaters, König Rolfs, einzuschätzen. Sie konnten sich ebensogut für die eine wie für die andere Seite einsetzen und taten das oft auch. Sie unterhielten weiterhin alle und jeden. So wie sich Roderic auf den Empfängen, die sein Vater gab, mit scharfem Hackenschlag über der Hand einer Comtesse oder Duchesse verbeugte, so stritt und trank Rolf im Gegenzug bei den Treffen in den Gemächern seines Sohnes mit Lamartine, dem gemäßigten Wissenschaftler Arago, dem Sozialisten Louis Blanc und mit zerlumpten Männern, die Pistolen in ihren Gürteln trugen und über die Hintertreppe verschwanden.
    Mara empfand die Verwicklungen und die sich ergebenden Fragen als verwirrend. Sie bemitleidete die Menschen, die zusammengekauert auf der Straße hockten und bettelten, und gab den Kindern Centimes, wenn sie konnte. Sie erkannte, wie berechtigt der Ruf des Volkes nach Mitbestimmung in der Regierung, nach Arbeit und gerechter Bezahlung war. Zugleich schien Louis Philippe für sein Land und seine Untertanen alles in seiner Macht Stehende zu tun. Die Menschen litten überall, nicht nur in Frankreich.
    Trotz der Unruhe schien es unmöglich, daß die Gewalt ausbrechen und noch einmal Barrikaden in den Straßen von Paris errichtet werden könnten, während der Pöbel regierte. Bis zu einem sonnigen Nachmittag.
    Mara hatte mit Juliana und Trude eine Parfümerie in den Nebengassen des Marais besichtigt. Sie hatte gehört, daß man dort einen Duft namens >Kreolischer Garten< bekommen könne, der alle Aromen eines New Orleanser Gartens enthielt: Gardenien, Süßolive und Geißblatt, alles unterlegt mit einem leichten Farngeruch. Abgesehen davon, daß das Parfüm interessant klang, wollte sie es als Geschenk für Großmutter. Die alte Dame erholte sich recht gut, aber sie brauchte etwas, um die Tage aufzuhellen, die sie im Bett verbringen mußte. Außerdem würde sich das Parfüm ausgezeichnet als Eröffnung einer Diskussion über ihre Rückkehr nach Louisiana eignen.
    Der Laden war nicht weit entfernt, vielleicht zehn Minuten zu Fuß. Sie waren schon so lange nicht mehr draußen gewesen, daß sie beschlossen, auf die Kutsche zu verzichten. Die Truppe war fort, ebenso wie Roderic und Rolf, deshalb einigten sie sich darauf, nicht auf eine Eskorte zu warten. Es war sicher genug, wenn sie zu dritt gingen, vor allem, da es sich nur um einen kurzen Ausflug handelte.
    Der Hinweg verlief ereignislos und war angenehm in der frischen Luft. Auf dem Rückweg trug Mara die kleine Glasphiole mit Parfüm in ihrem Retikül, und alle drei wandelten in einer jener unzähligen Düfte, die sie versuchsweise aufgetragen hatten. Die Straßen waren schmal und gewunden und mit grobem Kopfsteinpflaster belegt, auf dem schwer zu laufen war. Die Sonne drang nicht bis zu ihnen herunter, sondern erhellte nur die obersten Stockwerke. Abfälle lagen in den Torwegen, Fenster waren zerbrochen, und Fensterläden hingen schief in den Angeln.
    Als sie die Parfümerie verlassen hatten, waren Kinder herumgelaufen, Katzen hatten auf den Türschwellen gelegen und Frauen sich aus den Fenstern gelehnt, um sich lauthals mit ihren Nachbarn zu unterhalten. Sie bogen um eine Ecke, und plötzlich war die Straße wie leergefegt. Irgendwo schrie ein Kind und wurde sofort zum Schweigen gebracht. Ein Fensterladen schloß sich krachend, dann wurde der Riegel vorgeschoben.
    Mara wandte den Kopf, um einen Blick mit Juliana zu wechseln. Dann schauten sie beide auf Trude.
    »Wir sollten uns lieber beeilen«, entschied die blonde Frau mit grimmiger Miene. Eine Hand auf dem Degenknauf, schaute sie sich mit kühlem, abwägendem Blick um, dem nichts entging. Sie gingen schneller weiter. Ihre Schritte hallten zwischen den steinernen Gebäuden wider, so daß es klang, als würden sie verfolgt. Die Sonne verschwand hinter einem Wolkenschleier. Eine Bö lief zwischen den Gebäuden
    und wirbelte schmutzigen Staub auf, der in den Augen brannte.
    Vor sich hörten sie Stimmen, die einen Marsch sangen. Immer näher kamen sie, bis man das Lied als »Marseillaise« identifizieren konnte. Die

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