Zigeunerprinz
laut gesungenen Worte klangen wütend und grob aus Männer- und Frauenkehlen.
»Der Mob. Schnell, weg von hier«, sagte Trude.
Aber es war zu spät. Die Zusammenrottung von Männern und Frauen tauchte aus einer Querstraße vor ihnen auf. Es waren etwa dreißig an der Zahl, und alle waren mit Prügeln oder anderen Behelfswaffen ausgerüstet. Die Kleider waren unförmig und von verwaschenem Graubraun, und auf den Köpfen trugen sie flache Kappen oder, die Frauen, ausgebleichte Kopftücher. Die Gesichter waren fahl, und wenn sie beim Singen ihren Mund öffneten, konnte man ihre fauligen Zähne sehen. Ihnen bot sich der Anblick zweier Damen in eleganten Trauerkleidern für die tote Schwester des Königs und, so hatte es den Anschein, eines jungen Mannes mit schwarzer Armbinde.
Der Pöbel stürmte wie von unsichtbarer Hand gelenkt auf sie zu. »Aristos! Leuteschinder! Auf sie! Auf sie!«
Die Klinge von Trudes Schwert scharrte, als sie aus der Scheide gezogen wurde. Dann schubste sie Mara und Juliana vorwärts. »Schnell! Ich werde sie aufhalten!«
»Mein Gott«, hauchte Juliana, »ich würde all meine Diamanten dafür geben, wenn ich jetzt meinen Degen bei mir hätte.«
»Sie können sie nicht aufhalten; es sind zu viele!« schrie Mara, packte Trude am Arm und zerrte sie mit sich. »Kommen Sie!«
Trude war bestimmt kein Feigling, aber sie hatte gelernt, die Risiken zu kalkulieren, und sie wußte, welchen Wert ein strategischer Rückzug haben konnte. Sie machte ein paar Schritte rückwärts, dann wirbelte sie herum und rannte los. Grölend, kreischend, blutdurstig wie Hunde auf der Jagd, setzten ihnen ihre Verfolger nach.
Der Fluchtweg, den die drei Frauen eingeschlagen hatten, würde sie noch tiefer ins Marais bringen. Sie mußten sich bis
zum Fluß und zum ruthenischen Haus durchschlagen. Trude deutete auf eine schmale Gasse, in die sie einbogen. Sie war voller Abfallhaufen, glitschigem Schlamm und Müll, und über ihnen waren quer über die Straße hinweg tief durchhängende Leinen mit grauer Wäsche gespannt. Während sie sich geduckt einen Weg durch die Abkürzung bahnten, sprang Trude hoch, um die Wäscheleinen mit einem Hieb zu durchtrennen, die hinter ihnen in die Gasse herabflatterten und ihren Verfolgern das Durchkommen erschwerten.
Sie gewannen etwas Zeit, aber nicht viel. Als sie aus der Gasse bogen, war der Pöbel dicht hinter ihnen. Juliana rannte mit bis über die Knie geschürztem Rock auf eine Patisserie zu. »Hier herein!«
Der Konditor sah sie kommen und versuchte, die Tür abzuschließen. Trude warf sich mit der Schulter dagegen, so daß der Mann rückwärts stolperte. Sie stürmten durch den Laden, stießen auf ihrem Weg Tische mit Kuchen und Torten und eine Schachtel mit Bonbons um. Sie drängten in die Küche und platzten, ohne auf die Schreie der fetten, aufgedunsenen Frau zu achten, die, beim Puddingrühren aufgeschreckt, sich umdrehte und große gelbe Kleckse von ihrem Kochlöffel auf ihren breiten Busen fallen ließ, durch die Hintertür in die nächste Gasse.
Trude fluchte mit einer Inbrunst, die unter den gegebenen Umständen keineswegs überraschte, und kippte einen Kübel voll ranzigem Fett um, der neben der Tür stand. Weiter unten in der Gasse vereinten sie ihre Kräfte, um hinter einer Boucherie einen Bottich voller Schweine-und Schafsabfälle umzustürzen. Der aufsteigende Gestank verursachte ihnen Übelkeit. Jeder Atemzug schmerzte wie ein Messerstich in ihrer Brust, doch sie rannten weiter. Schadenfroh hörten sie das heisere Gebrüll, als die Anführer des Mobs aus der Konditorei stürmten, im Fett ausrutschten und in die Fleischabfälle fielen.
Sie waren am Ende der Gasse angelangt und wandten sich wieder nach links. Ihre Schritte hallten auf dem Pflaster. Julianas Haar hatte sich gelöst, ihre Röcke hatte sie bis übers Knie hochgehoben, und ihr Gesicht war kalkweiß, trotz der hektischen roten Flecken auf ihren Wangen. Mara spürte Seitenstechen und sah roten Nebel vor ihren Augen. Sie konnte das Tempo nicht mehr lange halten. Sie hörte Juliana neben sich schnaufen und nahm an, daß es dem anderen Mädchen ähnlich ging, wohingegen Trude kaum außer Atem zu sein schien.
Ihre einzige Hoffnung war, genug Zeit zu gewinnen, um sich verstecken zu können, dachte Mara. Sie waren jetzt näher am ruthenischen Haus, aber immer noch fünf oder sechs Blocks davon entfernt. Die Straße war breiter hier und von mehr und verschiedenartigen Läden gesäumt, auch wenn alle Türen
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