Zigeunerprinz
verriegelt waren. Vor den Läden stand die Ware, die man stehengelassen hatte, als man die Fensterläden zugeklappt hatte und die Riegel hatte einrasten lassen. Es gab kein Versteck, keine Zuflucht. Das Geheul des Pöbels hinter ihnen kam immer näher.
Dann sah sie es, direkt vor ihnen. Sie lachte laut auf. Als die beiden anderen sie verwundert anblickten, konnte sie nur mit zitternder Hand darauf deuten und ihren Lauf nochmals beschleunigen.
Das Geschäft des Herrenausstatters war fest verrammelt, aber vor der Tür stand ein Regal mit Männerhüten, Melonen, Zylindern und Chapeau Claques, Seiden- und Biberpelz- und gewebten Wollmützen. Es gab eine Kiste mit schweren Westentaschenketten, an denen man Uhren oder Siegel befestigen konnte. Vom Giebel hingen Stöcke mit goldenen und silbernen Griffen, Stöcke mit geschnitzten Elfenbein- und Bernsteingriffen und auf Hochglanz polierte Stöcke aus Schlehdorn. Und dann gab es noch einen Ständer mit Stöcken, die einen Knauf statt einem Griff besaßen, extra dünnen, schlanken Stöcken und extra dicken: Degenstöcken.
Mara und Juliana stürzten sich auf die Stöcke, drehten an den Knäufen, warfen jene beiseite, die sich nicht öffnen ließen, bis beide schließlich mit einem Triumphschrei eine scharfe, biegsame Klinge aus der harten Scheide zogen.
Sie wirbelten herum. »Auf die Straße«, erklärte Trude angespannt. »Dort ist mehr Platz.«
Das Pack erblickte die vermeintliche Beute und hetzte auf sie zu. Mara, die Schulter an Schulter zwischen Juliana und Trude stand, merkte plötzlich, daß sie immer noch ihr perlenbesetztes Retikül am Handgelenk trug. Sie schüttelte die Bänder ab, fing das Täschchen auf und warf es beiseite. Es landete vor einem Hauseingang. Die Tür ging auf, und ein Junge von zehn oder elf Jahren lugte heraus. Eine strenge Stimme rief ihn zurück, doch der Junge schoß heraus, um das Retikül aufzulesen.
»Alles darin gehört dir«, rief Mara ihm mit gellender Stimme zu, »wenn du eine Nachricht zum ruthenischen Haus bringst. Sag ihnen, sie sollen kommen.«
»Sag ihnen: A moi! A moi!« rief Trude.
Es war ein uralter Schlachtruf, mit dem man um Hilfe bat: Zu mir. Versammelt euch um mich. Helft mir. Die Truppe würde mit Sicherheit kommen. Falls der Junge die Botschaft überbrachte. Falls man ihn vorließ. Falls die Männer schon zurückgekommen waren.
In der Zwischenzeit waren sie ganz auf sich allein gestellt.
Die Meute strömte in die Straße vor ihnen. Immer näher kamen sie. Und näher. Mit weit aufgesperrten Mündern und hervortretenden Halssehnen schrien sie. In ihren Augen loderten Haß und Mordlust. In ihren geballten Fäusten trugen sie die ungeschlachten Waffen. Ihre groben Schuhe polterten wie Donner über die Pflastersteine. Näher. Näher.
«En gar de«, sagte Trude leise.
Die drei Klingen flogen hoch, senkten sich, verharrten. In Pose und angriffsbereit standen sie da.
Der Anblick, der sich jenen an der Spitze des Pöbels bot, kam so unerwartet, daß sie anzuhalten versuchten. Sie wurden von den Menschen hinter ihnen weitergedrängt, so daß sie ausglitten und über das Pflaster stolperten und purzelten. Zentimeter vor den glänzenden, langsam kreisenden Klingen kamen sie zum Stillstand, dann stemmten sie sich fluchend und grölend gegen ihre Mitläufer. Einen Augenblick lang herrschte völlige Verwirrung.
Unvermittelt löste sich die Gruppe auf, und ein halbes Dutzend Männer traten aus ihrer Mitte hervor. Mit erhobenen Knüppeln und gebleckten Zähnen kamen sie auf die Frauen zu. Mara hatte keine Zeit für die anderen, nur für die beiden, die auf sie zustürmten. Sie duckte sich unter dem ersten Rundschlag weg und hieb, noch in der Hocke, nach den Beinen des ersten Angreifers. Er jaulte auf und hinkte außer Reichweite. Mara tauchte hoch wirbelte herum und stieß die scharfe Klinge in ihrer Hand nach dem Bauch des zweiten. Er sprang zurück, so daß der Stock, mit dem er sie schlagen wollte, nur ihre Schulter streifte. Ohne auf die sich ausbreitende Taubheit zu achten, den Blick fest auf die blinkende Klinge des Messers in seiner anderen Hand gerichtet, wich sie augenblicklich zurück und zog den Degen über seinen Arm. Er faßte mit einem heiseren Schrei sein Handgelenk und ließ das Messer fallen. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Sein Platz wurde von einer Frau eingenommen, die ein Beil schwang. Mara stellte sich der Vettel mit dem wirbelnden, drohenden Tod in der Hand. Die Frau kreischte wutentbrannt auf
Weitere Kostenlose Bücher