Zigeunerprinz
ich will nichts, außer hier liegen.«
»Ich glaube, ich sollte lieber nach einem Arzt schicken.«
»Nicht, wenn du mir einen Gefallen tun willst«, erwiderte die alte Dame streng. »Französische Ärzte verschreiben immer nur etwas für die Leber, ganz egal, was einem weh tut, und mit meiner Leber ist alles in Ordnung.«
Bei den letzten Worten überlief sie ein Schauer, so daß sich das faltige Gesicht in den Kissen schmerzvoll verzog. Mara sagte: »Vielleicht ein paar Tropfen Laudanum, damit du schlafen kannst?«
»Wenn es dich glücklich macht.«
Mara befahl, daß ein Feuer angezündet werden solle, obwohl es ein milder Tag war, und saß dann an Grandmere Helenes Seite, bis sie einschlief. Erst dann stand sie auf und verließ das Zimmer, um nach Angeline zu suchen.
Man schickte nach einem Doktor, der innerhalb einer Stunde eintraf. Die alte Dame war krank, aber nicht schwer. Angesichts ihres Alters war es jedoch unerläßlich, daß sie ruhig und warm lag und keinen Zug bekam. Auf keinen Fall durften die Fenster in ihrer Kammer geöffnet werden, und sie durfte keinen Fuß auf den kalten Boden setzen. Wenn diese Instruktionen befolgt würden, und sollte ihre Leber weiterhin normal funktionieren, dann würde sie wahrscheinlich der gefürchteten Lungenentzündung entkommen. Falls nicht, dann sei er für die Folgen nicht verantwortlich.
»Pompöser Scharlatan, Wind- und Lärmmacher«, erklärte Roderic leidenschaftslos, als der befrackte Leib des Arztes auf der Treppe entschwand.
Mara schüttelte den Kopf. »Es war mein Fehler, ihn rufen zu lassen. Grandmere hat prophezeit, daß es so ablaufen würde.«
»Wir sind unseren Ängsten ausgeliefert, wenn wir lieben.«
Sie konnte nur zustimmen. »Ich muß zu ihr und bei ihr sitzen.«
»Das wird ihr nicht helfen, sondern sie höchstens stören. Wenn Sie sich im kleinen Salon neben ihrer Kammer einrichten, werde ich Ihnen Gesellschaft leisten.«
Erstaunt blickte sie ihn an. »Gewiß haben Sie doch wichtigere Dinge zu tun?«
»Nichts«, erklärte er einfach und spazierte, nachdem er ihre Hand auf seinen Arm gelegt hatte, mit ihr zurück zu dem kleinen Salon, der ihr Schlafzimmer von dem ihrer Großmutter trennte.
»Sie sind dünn geworden, zu dünn«, sagte er, als sie in dem kleinen, ovalen Raum saßen. Er saß, mit untergeschlagenem Bein und auf der Rückenlehne liegenden Ellbogen, auf dem kleinen Sofa und stützte den Kopf auf.
»Das ist auf mangelnden Appetit zurückzuführen.«
Er ignorierte ihren Versuch, die Sache heiter zu nehmen. »Seelenqualen und Sorgen und eine beschämende Defloration; es war kein alkyonisches Intermezzo für Sie.«
Sie schaute auf ihre Hände nieder, die sie im Schoß gefaltet hatte. »Nicht beschämend.«
»Wie großzügig. Aber das waren Sie ja von Anfang an. Sie haben mir Ihren halben Apfel angeboten.«
Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen, und der Blick ihrer grauen Augen war ruhig und klar. »Ich habe Ihnen einmal erklärt, wie leid es mir tut, was - was passiert ist. Ich denke nicht, daß Sie mir geglaubt haben. Es war die Wahrheit, das schwöre ich.«
»Ich habe kooperiert, sogar kollaboriert.«
»Das ändert nichts an der Tatsache, daß es falsch war, Sie auszunützen.«
»Vielleicht war der Versuch falsch. Ich hätte der Sache jederzeit mit einem einzigen Wort ein Ende bereiten können. Statt dessen beschloß ich, das Geschenk anzunehmen, das Sie mir anboten - Sie selbst. Dafür bitte ich Sie hiermit um Vergebung.«
»Es gibt keinen Grund für Sie, das zu tun.«
»Nur meine Selbstachtung und Ehre und Ehrlichkeit - und meine Unsicherheit.«
Sie blinzelte überrascht und zog dann eine Braue hoch. »Sie waren in Ihrem ganzen Leben nie unsicher.«
»Nein? Sie haben etwas von meinem Temperament nach dem Attentat auf Louis Philippe zu spüren bekommen. Ungerechterweise. Ich möchte Emotionen in Ihnen erwecken, aber Angst gehört nicht dazu.«
Ein leichter Hauch von Rot färbte ihre Wangen. Sie weigerte sich, darüber und über die Worte, die die Verwirrung ausgelöst hatten, nachzudenken. »Warum >ungerechterweise?<«
»Ich wollte das Vertrauen, das Sie mir nicht schenken konnten. Statt nach dem Grund dafür zu suchen, inszenierte ich ein Schauspiel, das verletzten Stolz und Zorn vorspiegelte. Das war nicht hilfreich und könnte nun sogar hinderlich sein.«
»Hinderlich? Wobei?«
»Ihr Vertrauen zu gewinnen. Jemals.«
Seine Miene war festgefügt in einem Ausdruck ungewisser Sorge. Die feinen goldenen Wellen seines
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