Zigeunerprinz
darstellte, verzichtete der Bürgerkönig auf jede heroische Geste und floh, gemeinsam mit seiner Königin, in einer gemieteten Kutsche aus Paris. Sie besaßen kaum mehr, als sie in ihren Händen tragen konnten, als sie den Ärmelkanal in Richtung England und ins Exil überquerten.
Die Reformisten waren vollkommen durcheinander. Das Erreichte hatte ihre kühnsten Hoffnungen übertroffen. Sie hatten erwartet, den König zu Veränderungen zwingen zu können, statt dessen hatten sie die Regierung gestürzt. Unter ihnen waren viele, die, wie Victor Hugo, jetzt Großes von der jungen Duchesse, Helen von Mecklenburg-Schwerin, erhofften, die als liberale und intelligente Dame galt. Es gab ebenso viele Reformisten, die plötzlich gar nichts mehr mit einer Monarchie zu tun hatten und statt dessen eine Regierung des Volkes und eine Verfassung wie jene der Vereinigten Staaten schaffen wollten. Das reformistische Treffen im ruthenischen Haus war eigentlich dazu gedacht gewesen, weitere Maßnahmen zur Durchsetzung der geforderten Veränderungen zu besprechen. Nun wurde es zu einem Forum, auf dem die Meinungsunterschiede diskutiert und bekräftigt wurden.
Man versammelte sich in der großen Galerie. Stühle aller Art waren aus den verschiedenen Teilen des Hauses zusammengetragen worden. Hohe Messingkandelaber waren zu beide Seiten der Halle aufgebaut worden. Die Kerzen darin brannten hell, ihre Flammen schwankten im Luftzug, der in dem riesigen Raum umging, und Rauch stieg zu der gewölbten und mit Fresken verzierten Decke auf. Ihr Licht wurde in den hohen, rundgiebeligen Fenstern reflektiert und vervielfacht, die zu beiden Seiten der langen Galerie eingelassen waren. Die Männer, etwa fünfzehn außer der Truppe, drängten sich um das Feuer, da die Nacht bitterkalt geworden war.
Das Treffen war bislang laut, aber doch sachlich verlaufen.
Es war, als würden die Versammelten das Gewicht ihrer Taten und der Veränderungen spüren, die sie dem Lauf der Geschichte beibrachten. Monatelang hatten sie eine Reform gefordert, eine Revolte des Volkes - bis zu diesem Augenblick war ihnen das nie als Verrat erschienen.
Vielleicht war es das Verantwortungsgefühl, vielleicht spürten sie, daß sie von nun an auf einer größeren, öffentlicheren Bühne agieren würden, jedenfalls duldeten sie, daß ihnen die versammelte Zuhörerschaft lauschte. Grandmere, die fasziniert davon war, einen politischen Prozeß so hautnah miterleben zu können, hatte verlangt, dabeisein zu dürfen, und Angeline, die mindestens ebenso interessiert war, hatte sie darin unterstützt. Juliana und Mara hatten ihre Bitten angefügt - Juliana aus Neugier, Mara aus dem dringenden Be-dürfnis heraus, dabeizusein und mitzuerleben, was bezüglich de Landes' geschehen würde.
Würde der Franzose auftauchen? Wollte er durchführen, was sie ihm vorgeschlagen hatte, oder hatte ihre Rettung durch Roderic dazu geführt, daß er seinen Plan aufgegeben hatte? Angesichts der Nachrichten, die Luca überbracht hatte, erschien es möglich, daß er immer noch zu allem entschlossen war. Gewiß war er der Gauner anheuernde Mann, von dem der Zigeuner gesprochen hatte. Wenn dem so war, und wenn sie diese Information mit dem Plan zusammenfügte, den sie besprochen hatten, dann schien Unheil zu drohen.
War Roderic vorbereitet? Das wußte Mara nicht. Sie hatte versucht, mit ihm darüber zu sprechen. Vielleicht hatte sie nicht den rechten Ort und die rechte Zeit dazu gewählt. Er hatte verstehend zu allem genickt, was sie sagte, und sie währenddessen weitergeliebt. Falls er begriff, wie ernst die Situation war, falls er Pläne geschmiedet hatte, mit denen er verhindern wollte, was de Landes Vorhaben mochte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Seine Vorbereitungen waren wie seine Gedanken nur selten leicht zu durchschauen, dennoch hätte es ihr mehr Vertrauen gegeben, hätte sie gesehen, daß die Truppe auf der Hut oder wenigstens bewaffnet war. Roderic selbst und Rolf neben ihm, die in den Sesseln vor dem großen Marmorkamin lagerten, schienen nicht einmal ein Taschenmesser bei sich zu tragen.
Roderics garde du corps hielt sich am Rande der Versammlung auf: Michael, Trude und Estes auf der einen Seite; Jacques und Jared auf der anderen. Mara sah sich suchend nach Luca um, aber der war nirgendwo zu sehen. Sie hatte ihn jedoch zuvor im Korridor draußen gesehen. Vielleicht hielt er Wache? Der Gedanke, daß wenigstens einer auf der Hut war, beruhigte sie.
Der Mann, der zum Führer der
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