Zigeunerprinz
mußte geahnt haben, daß Rolf das ebenfalls nicht gestatten würde.
War es möglich, daß Roderic mehr als die Wahrheit gesagt hatte, als er ihr erklärt hatte, Rolf hätte seine Zustimmung verweigert, weil der König meinte, sie sei zu gut für seinen Sohn?
Und was war, wenn Roderic, nachdem er sich überall als liberaler Prinz eingeführt hatte, der einen legitimistischen Hinterhalt vereitelt hatte, sich nur mit den Reformisten eingelassen hatte, um sie zu betrügen? Was wäre natürlicher? Als Erbprinz hegte er bestimmt große Sympathie für den Bourbonenerben, den Comte de Chambord, dem der Thron von Louis Philippe gestohlen worden war. Immerhin war er über seine Mutter mit ihm verwandt, wenn auch entfernt. Er wäre bestimmt dazu bereit, den Reformisten zu helfen, wenn sie den Usurpatoren vom Thron stießen. Aber sobald das vollbracht war, wäre er vielleicht ebenso bereit, das erlangte Wissen und das gewonnene Vertrauen einzusetzen, um sie in die Falle zu locken.
Aber wenn dem so war, warum hatte de Landes sie dann entführt? Warum der wütende Racheschwur gegen Roderic? War es möglich, daß de Landes nicht in die Pläne des Prinzen eingeweiht war? War es möglich, daß bis zu dem Nachmittag, an dem man sie entführt hatte, der Franzose nichts von dem komplizierten Spiel geahnt hatte, das Roderic spielte? Hatte Roderic die ausgeprägte Leidenschaft des Mannes für Manipulationen ausgenutzt, um de Landes selbst zu manipulieren?
Der Franzose war hier, und Roderic stand ihm gegenüber, ohne im geringsten verstört zu wirken. Wenn sie recht hatte, dann war offensichtlich, daß die beiden ihre Differenzen begraben hatten und nun zusammenarbeiteten, um wieder einen Bourbonen auf den französischen Thron zu setzen.
Aber während diese Gedanken wie ein Buschfeuer durch ihren Kopf rasten, sprach Lamartine. Mit vor Wut dunklem Antlitz verlangte er zu wissen: »Was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, daß wir Sie geschnappt haben, mein Freund«, antwortete de Landes. »Es bedeutet, daß Henri V., unser rechtmäßiger,König, Frankreich regieren wird und daß Sie und dieser Stall von Verrätern nichts daran ändern werden.«
»Bourbonenhund! Sie können uns nicht ewig gefangenhalten !«
»Vielleicht nicht, aber meine Männer und ich können Sie ins Gefängnis bringen, bis Madame Guillotine wieder auf der Place de la Concorde aufgestellt worden ist.«
»Das ist doch Wahnsinn! Wollen Sie die Rückkehr des Terrors?«
»Nanu, was soll das denn? Sollte das Proletariat allein jenes Mittel beanspruchen, Feinde aus dem Weg zu räumen?«
Roderic machte einen kurzen Schritt vorwärts, aber seine Bewegung wirkte so energisch, daß alle im Raum auf ihn blickten. Das Kerzenlicht leuchtete bronzen auf seinem Gesicht, färbte sein Haar golden und lag wie ein gelber Fleck auf der breiten Uniformbrust. »Ehrgeiz ist ein strenger Zuchtmeister und ein schlechter Beschützer. Wer wird Sie schützen, wenn Ihr Vorhaben mißlingt?«
»Ich brauche keinen Schutz, am wenigsten Ihren«, verkündete de Landes voller Zufriedenheit. »Sie glaubten, Sie hätten gewonnen, nicht wahr? Sie glaubten, man könne mich ignorieren. Sie haben sich getäuscht.«
Das lief keineswegs so, wie es sollte. Hatte sich de Landes schließlich doch zur Rache entschlossen, zum Betrug an dem Betrüger? Mara mußte jedes Wort mitbekommen und drängte sich vor. Sie machte einen Schritt, noch einen, zwängte sich zwischen den beiden Männern an Trudes Seite durch. De Landes wurde auf die Bewegung aufmerksam und ließ seinen Blick kurz zu ihr herüberhuschen, bevor er wieder auf den Prinzen schaute.
»Vielleicht habe ich Sie unterschätzt«, überlegte Roderic nachdenklich.
Daß ihn das Geschehen so ungerührt ließ, schien sein Gegenüber nur noch mehr anzustacheln. »Glauben Sie, Sie seien gegen eine Exekution immun? Sie sind ein Fremder auf französischem Boden, der hier Informationen gesammelt hat.
Das macht Sie zu einem Spion, der die schwerste Strafe überhaupt verdient.«
»Gibt es keine diplomatische Immunität mehr? Die französischen Botschafter überall in der Welt werden das gar nicht gern hören.«
»Sie behaupten, der offizielle Vertreter Ihres Landes zu sein? Vielleicht sind Sie das. Aber das braucht uns nicht zu bekümmern. Ich bin überzeugt, daß Ihre Beglaubigung nicht mehr lange Bestand haben wird. Ansonsten wird man sich gegenüber Ruthenien für dieses ... unglückliche Mißgeschick entschuldigen müssen.«
»Mit tiefstem Beileid?«
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