Zigeunerprinz
»Das ist doch nicht wahr?«
»Nicht jedem ist das Leben teuer, menschliches wie tierisches.«
»Ja«, sagte Mara bedrückt. Sie mußte an Dennis Mulholland denken, der in die Schlacht geritten war, ohne sich etwas aus seinem Leben zu machen.
»Was, eine unangenehme Erinnerung?«
Auf die sanfte Nachfrage hin hielt Mara den Atem an, dann setzte sie ein Lächeln auf. »Ich - ich weiß nicht genau. Vielleicht war da etwas.«
Prinz Roderic beobachtete sie mit unverwandter Miene. Er antwortete jedoch nicht, denn in diesem Augenblick kamen die Zwillinge Jacques und Jared mit Trude in ihrer Mitte angeritten. Zigeunerkinder, die im Matsch spielten, quietschten auf und rannten los, um dem Schmutzwasser zu entkommen, das unter den Pferdehufen hochspritzte. Dämon bellte und rannte im Kreis und brachte damit die Hunde der Tziganes zum Bellen, die wiederum die Esel zum Wiehern und die Gänse und Hühner in ihren Käfigen unter den Pferdewagen zum Quaken und Gackern anstifteten.
Die beiden jungen Männer und die Frau stiegen ab und kamen auf den Prinzen zu, um ihm Bericht zu erstatten. Die Kutsche, soweit sie hatten feststellen können, war mit vollem Tempo in Richtung Paris gefahren, nachdem Mara in der Nähe des Zigeunerlagers hinausgeworfen worden war. Die Spur war von den tausend anderen nicht zu unterscheiden. Es war ein Jammer, daß sie das Gefährt nicht gleich in der Nacht verfolgt hatten, als noch die Möglichkeit bestanden hatte, es einzuholen, wenn es oder die Insassen von solcher Bedeutung waren.
Roderic legte die Stirn in Falten und erwiderte außer einem Nicken nichts auf diese letzte Bemerkung. An seiner Stelle funkelte Trude, die in ihrer weißen Uniform eine stattliche Erscheinung abgab, die beiden Zwillinge mit glühendem Blick an, als würde sie die beiden für impertinent halten, selbst wenn es der Prinz nicht tat. Trudes Benehmen strahlte fast etwas Beschützerisches aus. Es lenkte Maras Aufmerksamkeit auf sie. Die Anwesenheit der Frau war ihr gestern nacht eigenartig vorgekommen, aber sie war zu aufgeregt gewesen, um sich Gedanken darüber zu machen. Jetzt fragte sie sich unwillkürlich, wie sie wohl in die Truppe des Prinzen gekommen war und welche Position sie einnahm.
Die kleine Gruppe von Gefolgsleuten des Prinzen kam ihr keineswegs merkwürdig vor. Sie hatte von Grandmere Helene soviel über Prinz Rolf, Roderics Vater, und die Männer gehört, die vor all den Jahren mit ihm nach Louisiana gekommen waren, daß es ihr seltsam erschienen wäre, wenn Roderic keine Leibwache, kein eigenes garde du corps gehabt hätte.
Auch Rolfs Truppe hatte aus fünf Männern bestanden. Grandmere hatte ihr oft erzählt, wie sie auf dem Ball eintrafen, den sie auf dem Land nahe St. Martinville gegeben hatte, wie sie in ihren goldbetreßten und ordensbestückten Uniformen den Raum betreten hatten, in genau abgezirkelten Bewegungen, als befänden sie sich auf einer Parade. So brillant waren sie unter der einfachen Landgesellschaft erschienen, so atemberaubend war ihr Auftritt gewesen, daß es ihr vorgekommen war, als hätte eine Phalanx von Pfauen einen Taubenschlag erobert.
Der Ball war unterbrochen worden. Prinz Rolf hatte Angeline Fortine auserwählt. Sein Cousin Leopold, sein Halbbruder Meyer, der einäugige Veteran Gustav und die Zwillinge Oscar und Oswald hatten ebenfalls Partnerinnen gefunden. Sie hatten einen Tanz getanzt und waren dann, auf ein Zeichen des Prinzen hin, wieder abgezogen, traurig seufzende Damen - jene, die enttäuscht worden waren - und ekstatisch seufzende - die die Ehre gehabt hatten - zurücklassend. Die Feier war ein Triumph für Grandmere Helene gewesen: Ihr Haus war durch einen Prinzen geehrt worden! Sie hatte nicht geahnt, daß derselbe Prinz später die Frau stehlen würde, die ihr Sohn liebte.
Prinz Roderic hatte ihr den ersten aus seiner Truppe als seinen Cousin Michael vorgestellt, Sohn von Leopold. Es mußte derselbe Leopold sein, der mit Rolf in Louisiana gewesen war. Waren die anderen auch Kinder der ursprünglichen loyalen Truppe? Mara wünschte, sie könnte das fragen, aber solange sie ihren Namen und ihre Vergangenheit geheimhalten mußte, solange sie vorgeben mußte, sich an nichts zu erinnern, konnte sie das nicht. Es war zum Verzweifeln.
Trotz dieser Fessel erhielt sie jedoch später am selben Tag die Gelegenheit, ein paar Details ausfindig zu machen. Die anderen, Michael und der italienische Graf Estes, waren zurückgekehrt. Man verzehrte ein Mittagsmahl aus Eintopf und
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