Zigeunerprinz
nicht lächeln zu müssen. Es war unübersehbar, daß Trude zärtliche Empfindungen dem Prinzen gegenüber hegte. Es überraschte sie, daß die anderen Mitglieder der Truppe das nicht zu merken schienen. Was Juliana betraf, ein Mädchen etwa ihres Alters, so hatte Mara von ihr gehört, obwohl sie ihre Existenz beinahe vergessen hatte. Dennoch war es Trude, die im Augenblick ihr Interesse auf sich zog. Sie mußte etwa siebenundzwanzig Jahre alt sein, Roderic war achtundzwanzig.
»Sie müssen mir meine Neugier verzeihen«, sagte Mara. »Aber die Vorstellung einer Frau in Uniform fasziniert mich.«
»Warum? Ich bin mit dem Schwert oder der Muskete so behende wie jeder Mann.«
»Aber im Kampf Mann gegen Mann sind Sie doch sicher im Nachteil?«
»Vielleicht«, entgegnete Trude kalt, »vielleicht auch nicht. So weit ist es noch nie gekommen.«
»Sie sind noch nicht in der Schlacht gewesen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Kein Mann ist mir je nahe genug gekommen, um sich im Zweikampf mit mir zu messen.«
Die kühne Behauptung kam mit solcher Überzeugung, daß sie glaubhaft klang. »Sie haben sich also bewiesen. Nicht viele Frauen hatten diese Möglichkeit.«
»Nein«, sagte Trude und fuhr dann fort, als müßte sie sich zu den Worten zwingen: »Nur weil Roderic ein einzigartiger Mann ist, habe ich meine bekommen.«
»Einzigartig?«
»Ah, einzigartig fürwahr!« rief Estes aus, der jetzt nahe genug war, um diese Frage hören zu können. »Zwei Damen, eine dunkel und rätselhaft, die andere blond und ruhmreich, und beide wunderschön. Wie glücklich kann ich mich schätzen, allein mit diesem Paar hier zu sein. Ich bin versucht, euch beide zu entführen. Was haltet ihr davon? Sollen wir diesem grauen Klima entfliehen und die Sonne Capris suchen, nur wir drei?«
»Eingebildeter Popanz«, sagte Trude, stand auf und marschierte davon.
»Sie liebt mich nicht«, klagte Estes. »Während mich elenden Wurm jeder großartige Zentimeter ihrer Gestalt bezaubert!«
Es war lustig gemeint, da Trude ihn fast um Haupteslänge überragte. Aber Mara spürte den Kummer in dem gespielten
Ausbruch des Italieners und fand, daß es zu wahr klang, als daß sie darüber lachen konnte.
Als die Dunkelheit hereinbrach, kehrten die Zigeuner langsam ins Lager zurück. Sie kamen einzeln oder zu zweit, und manche der Rückkehrer waren nicht älter als vier oder fünf Jahre. Estes zufolge war es nicht ungewöhnlich, daß Kinder dieses Alters sich selbst versorgten, an den Bauernhöfen bettelten oder Hühner und Gänse stahlen, indem sie die Tiere mit einem Köder an einer Schnur angelten. Sie verirrten sich nur selten. Überall hinterließen die Zigeuner unauffällige Markierungen, kleine Steinpyramiden oder Zweige, die sie patterans nannten und die immer die Richtung zur Sippe wiesen, ob sie nun ein festes Lager hatte oder auf Wanderung war. Weil niemand ihnen Beachtung schenkte, waren diese Jüngsten äußerst tüchtig darin, Informationen zu sammeln, die ihrer Sippe von Nutzen waren.
Die Zigeunermänner kümmerten sich um die Pferde und beschäftigten sich mit anfallenden Reparaturen im Lager, bevor sie sich auf die Teppiche warfen, die rund um das Hauptfeuer lagen. Die Frauen nahmen das Geflügel aus, das die Kinder gebracht hatten, und warfen den wartenden Hunden die Abfälle zu. Sie stopften die Tiere mit Kräutern und Zwiebeln und hängten sie auf Spieße über ein eigenes Kochfeuer. Die Kinder spielten Fangen rund um die Pferdewagen oder schlugen einen Ball mit einem Stock. Die alte Geigerin begann zu spielen. Ein Mann nahm die Mandoline auf, schlug sie an, und kurz darauf stimmte ein anderer auf einer Concertina mit ein. Eine junge Frau drückte sich, angerührt von der Musik, von dem Wagen ab, an dem sie lehnte, und begann zu tanzen. Ihr Haar floß, nur von einem Stirnband gehalten, in einer wilden schwarzen Flut über ihren Rücken. Ihre Augen waren dunkel und glänzten vor Sinnlichkeit. Ihre weiche Baumwollbluse umschmiegte ihren Leib, und ihr Rock wirbelte voll und bunt um ihren Körper, bisweilen ihre Hüften nachzeichnend, dann wieder ihre Knie und Schenkel freigebend. Sie tanzte und drehte sich wie in Trance; ihre Arme und Beine, Füße und Hände bewegten sich in weichem, natürlichem Rhythmus wie eine Liebeserklärung an die Nacht und den Augenblick und die süße Leidenschaft der Musik.
Der Abend schritt weiter fort, aber niemand schien sich über die Uhrzeit Gedanken zu machen oder sie überhaupt zu bemerken. Das Essen
Weitere Kostenlose Bücher