Zigeunerprinz
zu ihm legte, wenn er schlief? Würde ihre Anwesenheit, ihre weibliche Form und Wärme ausreichen, ihn seine Vorbehalte noch einmal vergessen zu lassen ?
Ihr Herz machte einen Satz bei dem Gedanken. Ihre Hände begannen zu zittern, darum legte sie schnell die Haarbürste beiseite. Würde sie das wagen? Nachdem sie gesehen hatte, was er mit Trude getan hatte, nach seiner Warnung, nach seiner düsteren Laune heute abend ... würde sie das Risiko auf sich nehmen?
»Stimmt etwas nicht, Mademoiselle?«
»Nein, alles in Ordnung, Lila«, antwortete sie und zwang sich zu lächeln. »Sie können jetzt gehen.«
Die Tür schloß sich hinter der Zofe. Mara wartete, bis die Schritte des Mädchens sich durch das Vorzimmer und über die Hintertreppe entfernt hatten. Als nichts mehr zu hören war, hob sie den Saum ihres Nachthemds an und verließ das Schlafzimmer. Sie gewährte sich keine Sekunde, um über ihren Plan nachzudenken und noch ängstlicher zu werden.
Die Böden der langen, leeren Räume, durch die sie in Roderics Flügel gelangte, waren kalt unter ihren nackten Füßen. Ein kühler Luftzug wehte unter ihr Nachthemd, fächelte es um ihre Knie und Schenkel. Die meisten Kerzen in den Girandolen waren niedergebrannt, so daß sie durchs Dunkel wanderte, das nur ab und zu von einer Lichtpfütze unterbrochen wurde. Hinter den hohen Fenstern lag die dunkle und samtig stille Schneenacht. Das einzige, was sie sehen konnte, war ihre blasse Gestalt, die sich ab und zu verzerrt im verbleiten Fensterglas spiegelte.
Sie gelangte ins Zentrum des Gebäudes, wo die Korridore ein Andreaskreuz bildeten und die vier Innenhöfe voneinander abtrennten. Vor ihr befand sich ein kleines Antichambre, das in den Flügel des Prinzen rund um den Osthof führte. Zur Linken befand sich eine Tür, durch die man zu den Schlafgemächern der Truppe gelangte. Geradeaus ging es zum Privatsalon des Prinzen und weiter zu seinem Schlafgemach sowie einem kleinen Ankleidezimmer. Jenseits lag ein kleiner Raum, in dem ein mit Büchern und Papieren überladener Schreibtisch stand. Hinter diesen Räumen, in dem Flügel, der sich in rechtem Winkel links an die Gemächer des Prinzen anschloß, lag die Suite, in der seine Mutter und sein Vater wohnten, wenn sie in Paris waren. Sie zögerte nur einen winzigen Augenblick, um sicherzugehen, daß niemand Wache hielt. Da sie niemanden sah, nichts hörte, drückte sie die schwere Messingklinke herab und schob die Tür auf. Dann trat sie in Roderics Privatsalon.
Hier herrschte absolute Dunkelheit. Sie mußte sich vorsichtig bewegen. In ihrer Kindheit hatte man während eines Jahres viel über die Indianer gesprochen, die aus den Südstaaten nach Westen zogen. Sie und ein paar Sklavenkinder hatten auf der Plantage wochenlang Indianer gespielt, sich im Gestrüpp im Garten versteckt und waren durch das Haus geschlichen, um die Erwachsenen mit gespielten Attacken zu überraschen. Sie hatte gelernt, vollkommen lautlos barfuß zu gehen und sich vorsichtig und geschickt zu bewegen und allem aus dem Weg zu gehen, was ein Geräusch verursachen könnte. Jetzt, in der stickigen Stille des Raumes, schien es nur natürlich, sich auf diese eingefleischten Fähigkeiten zu verlassen.
Sie umrundete einen Tisch, ein Sofa, einen Sessel, eine Fußstütze. Sie erinnerte sich von ihren Inspektionsrunden daran, wo sich die Tür zum Schlafgemach befand, und nach wenigen, kurzen Augenblicken strichen ihre Fingerspitzen erst über die Türfüllung, dann über die Klinke. Sie drückte sie herab, schob die schwere Tür auf und schlüpfte hindurch.
Im Zimmer war kein Laut zu hören: weder das sanfte Schnarchen noch der tiefe, regelmäßige Atem eines Schläfers. Schlief er so ruhig oder war er gar nicht im Zimmer und arbeitete vielleicht nebenan ? Aber kein Lichtschein drang aus dieser Richtung.
Wie ihres stand auch das Bett des Prinzen auf einer Plattform. Der beschnitzte und vergoldete Sockel war sehr breit und lang. Obwohl man es jetzt nicht sehen konnte, ragte das Kopfende hoch auf zur Decke und endete in einem halben Baldachin. Er war mit einer vergoldeten, bemalten Schnitzerei verziert, die Krone und Wappen Rutheniens darstellte. Zu beiden Seiten hingen Seidenvorhänge herab, die mit Kordeln zurückgebunden waren. Sie mußte achtgeben, daß sie die Vorhänge nicht berührte, denn diese Bewegung konnte einen so wachsamen Mann wie Roderic aus dem Schlaf reißen.
Die Außenkante ihres Fußes strich an der Plattform entlang. Sie setzte einen
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