Zigeunerprinz
Erkenntnisse bringen. Wenn er die wollte.
Er schaute zu Luca hinüber. Der Zigeuner machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Tür, mit der er andeutete, daß de Landes den Salon verlassen hatte. Roderic nickte langsam, mit ausdrucksloser Miene. Luca verschwand, leise und still wie ein Schatten, hinter dem Franzosen aus dem Raum.
Es war spät, als sich die Gesellschaft auflöste. Als sie auf den Place Royale traten, entdeckten sie, daß es schneite. Die Flocken fielen dicht und gleichmäßig, bedeckten die Pflastersteine zentimeterhoch und bildeten weiche, goldene Lichtkugeln um die Gasflammen der Straßenlaternen. Ab und zu wirbelte ein Windstoß sie auf, ließ sie tanzen, trieb sie gegen den Rinnstein oder die Stämme der unbelaubten Bäume im Park, der die Mitte des Platzes bildete.
»Ist das nicht wunderschön!« rief Mara aus und streckte die Hände vor, um die kristallenen Schneeflocken aufzufangen. Im Süden Louisianas, wo sie lebte, fiel höchstens einmal in fünf Jahren Schnee, und auch dann nur so dünn und vereinzelt, daß er sofort schmolz, nachdem er den Boden berührt hatte.
Estes schnaubte und bibberte in seiner Uniformjacke. »Wunderschön? Bah!«
»Vorsicht auf den Pflastersteinen«, warnte Jared, nahm Maras Arm und ließ seinen blitzschnell um ihre Taille gleiten, als sie auszurutschen drohte.
Juliana schaute sich um. »Wo ist Luca?«
»Er hat zu tun«, antwortete Roderic, und seine Worte schienen in Eis gehüllt zu sein.
Jacques bückte sich, nahm eine Handvoll Schnee auf und formte sie zwischen seinen Handschuhen zu einem Ball. Sein Blick begegnete dem des Prinzen. Er ließ den Schnee wieder fallen und wischte sich betont unschuldig die Handschuhe ab.
»Oh, oh«, murmelte Jared leise. Er schaute auf seinen Anführer, und etwas in Roderics Miene veranlaßte ihn, seinen Arm wegzunehmen und Mara nur mit seiner Hand unter ihrem Ellenbogen zu stützen. Schweigend gingen sie bis zum ruthenischen Haus.
War Roderic eifersüchtig gewesen? Diese Frage plagte Mara, als sie Lila gestattete, ihr Kleid aufzuhaken und ihr beim Zubettgehen zu helfen. Sie dachte an den Augenblick zurück, als er nach ihrem Wortwechsel mit de Landes zu ihr gekommen war, ging jedes Wort durch, das er gesagt hatte, überlegte sich, wie er ausgesehen hatte. Dann machte sie das gleiche mit dem Vorfall auf dem Place Royale und ging schließlich bis zu dem Tag zurück, an dem er sie bei ihren Akrobatikübungen in den Armen der anderen ertappt hatte. War es möglich, daß er sie wirklich begehrte, daß sie ihn anzog, aber daß er dieser Anziehungskraft widerstand? War dieser Widerstand so anstrengend, daß er ihn heute abend seine Beherrschung gekostet hatte?
Sie war nicht überzeugt. Bestimmt zog sie ihn an, bestimmt hatte er vorübergehend Zuneigung zu ihr gefaßt, aber sie hatte das Gefühl, daß mehr hinter seiner Weigerung steckte, ihren Verführungskünsten zu erliegen. Er mochte ihr erzählen, er wolle ihr zukünftige Reue ersparen, weil er keine Zeit für eine Frau habe, aber der Grund, dessen war sie sicher, lag tiefer. Er war auf der Hut vor ihr. Darauf lief es immer wieder hinaus.
Lila hielt das Nachthemd aus feinem Kambrik vor sie hin, und gehorsam hob Mara beide Arme, damit die Magd es ihr über den Kopf ziehen konnte. Die Magd öffnete ihr das Haar und reichte ihr die Bürste, als Mara die Hand danach ausstreckte, dann ging sie ans Bett und schüttelte es auf. Mit ausdrucksloser Miene und ohne ihre Magd wahrzunehmen, zog Mara die Bürste durch ihr Haar.
Bei dem Vorfall mit Dennis war es, dachte sie, ihre physische Anwesenheit, die Berührung ihres Körpers gewesen, weswegen er sich vergessen hatte. Auch Roderic hatte, als sie in seinen Armen gelegen hatte, nicht innegehalten, um sich über die Komplikationen den Kopf zu zerbrechen, die sich ergaben, wenn er sie liebte. Wenn Juliana nicht gekommen wäre, wäre ihr die Verführung gelungen. Sie wäre jetzt die Geliebte des Prinzen und bräuchte sich nicht länger von diesen Zweifeln plagen zu lassen.
So wenig sie sich danach sehnte, weibliche Gespielin des Prinzen zu werden, so wenig sie sich wünschte, ihn in eine Affäre zu locken, sie wollte endlich, daß dieses unerträgliche Warten, die Angst vor dem, was sie zu tun hatte, ein Ende nahm. Es wäre eine Erleichterung, wenn die Wahrheit endlich herauskäme, wenn sie endlich in seinem Bett läge.
Mara hielt inne, die Bürste in der Hand und das Haar offen auf ihrem Rücken. Und was wäre, wenn sie sich einfach
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