Zigeunerprinz
ausgelöscht. Die Boote schossen aus dem dunklen Brückenschatten hervor. Das Rennen hatte begonnen.
Wie in die Freiheit entlassene, schwer fallende Wale, wie aus einem Bauernhof auf die sommergrüne Weide galoppierende Pferde durchpflügten die Boote, von starken Rücken und harten Muskeln angetrieben, das Wasser der Seine in schaumigen Furchen flußabwärts, die Rennstrecke hinab. Die Ruder kreischten und stöhnten und donnerten, gruben sich ins Wasser, wirbelten Gischt in die Luft. Der Fluß gurgelte und summte. Die Männer brüllten triumphierend und eifernd, stemmten sich stöhnend in die Riemen. Hinter ihnen stieg auf der Brücke der Jubel der Gäste auf und verhallte dann, als sich die Boote weiter entfernten.
Seite an Seite hielten die Boote ihre Positionen, während die Ruderer den Fluß durchwühlten. Manchmal setzte sich eines, dann das andere an die Spitze, nur eine Ruderlänge voneinander entfernt. Der Fahrtwind klatschte an ihre Umhänge und zerrte an ihrem Haar. Die hochgewirbelten Tröpfchen fielen wie Regen herab, landeten auf den erhitzten Gesichtern und mischten sich mit dem Tau des Schweißes.
Das Rufen erstarb. Auf beiden Uferstraßen waren jetzt die Silhouetten schnell fahrender Kutschen zu sehen, in denen die Gäste mit den Booten mitzuhalten versuchten. Männer hingen aus den Fenstern und schwenkten ihre Hüte, oder sie brüllten Aufmunterungen vom Kutschbock herunter, wo sie Platz genommen hatten, um besser sehen zu können.
Es war ein spannender Wettkampf. Das Antlitz des Preußen im Heck von Maras Boot war von der grimmigen Entschlossenheit einer Bulldogge. Estes schnitt bei jedem Ruderschlag eine Grimasse, behielt aber das gleiche gnadenlose Tempo bei wie der Kronprinz. Roderics Gesicht war, wie im Schein der Bootslaterne zu erkennen war, von fast aufgekratzter Fröhlichkeit, aber dennoch konzentriert. Er holte Luft und stimmte ein kühnes Seemannslied mit starkem, regelmäßigem Rhythmus an. Jared, Jacques und Luca, die in seiner Mannschaft waren, nahmen es als Einsatz und skullten in gleichmäßigen, kräftigen Zügen.
Nach wenigen Augenblicken trennten sich die Boote, um in die verschiedenen Flußarme einzubiegen. Notre Dame mit ihren schrägen Stützpfeilern ragte vor ihnen auf wie eine uralte, riesige Steinspinne. Die Boote zogen daran vorbei, und plötzlich wurde die Nacht ruhig, da der Wind, von dem riesigen Steingebäude gebremst, erstarb. Hoch zu ihrer Linken ragte der Kai auf, eine Ufermauer, die sich immer höher auftürmte, je enger das Flußbett wurde. Darüber erhoben sich die hohen Häuser von Paris, mit dunklen, blinden Fenstern und geschlossenen Geschäften im Erdgeschoß, deren Markisen aufgerollt waren.
Sie fuhren in einen modrigen, tiefschwarzen Steintunnel ein, und die tanzende Laterne im Bug verbreitete ihr gelbes Licht über dem düsteren Wasser vor ihnen. Die Männer ruderten, bis ihnen die Adern aus den Schläfen traten und ihr Atem tief und schwer ging, bis sie an nichts mehr dachten als den nächsten Ruderschlag, den nächsten Atemzug, die sanfte Windung des Flusses.
Auf ihrem Sitz stemmte sich Mara gegen das regelmäßige Ziehen der Ruder und kniff die Augen zusammen, um etwas vor ihnen zu erspähen. Ihre Gedanken waren bei den anderen, die auf der anderen Seite der Inseln vorbeiruderten, direkt unter dem rechten Ufer; ihre Gedanken waren von Mißtrauen gezeichnet. Vielleicht konnte sich keiner mehr daran erinnern, wie es zu diesem Rennen gekommen war, aber sie würde alles verwetten, daß zumindest ein Mann es sehr genau wußte. Roderic tat, nüchtern oder betrunken, nichts ohne einen Hintergedanken. Wenn er in diesem Augenblick die Seine hinunterjagte, dann aus einem ganz bestimmten Grund. Aus welchem? Was hatte er vor?
Vor ihnen tauchten graue Nebelfetzen auf. Sie trieben auf dem Wasser, wirbelten herum, verneigten sich vor ihnen, als sie hindurchstießen. Sie kamen in dichterer Folge, so daß sich das Licht der Buglaterne darin verfing, und zogen sich schließlich zu einem schmutzigen, undurchsichtigen Vorhang zu. Er umgab sie, erstickte alle Geräusche, ließ die Welt in weite Ferne rücken. Als sie an der Spitze der Ile de la Cite vorbeizogen, lag er wie eine weiche Decke über dem breiten Fluß und dem darüber gespannten Eisengeflecht der Pont des Arts. Und durch ihn flogen, wie glutäugige Möwen, die Kähne von Roderics Mannschaft, eine Bootslänge voraus.
Der Preuße fluchte, und das Boot, in dem Mara saß, machte einen Satz vorwärts. Es
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