Zigeunerprinz
begann den Abstand zwischen ihnen und dem führenden Boot zu verkürzen, ließ aber das Boot mit Michael und Trude hinter sich. Schließlich zog es gleich. Einen endlosen Augenblick lagen die drei Boote gleichauf, dann fiel das zweite Boot aus Roderics Mannschaft, in dem Luca und Jacques saßen, langsam zurück. Die Pont des Arts zog über ihnen hinweg. Von der Strömung und der Hitze des Gefechts angetrieben, kamen die beiden Boote in Führung langsam einander näher. Die Pont Royal ragte vor ihnen auf, eine Steinwand, von fünf nebelverhangenen Bögen durchbrochen. In einer langen Reihe warteten darauf die Gästekutschen, die vorausgeeilt waren, um das Ende des Rennens verfolgen zu können. Die Kutschenlaternen gleißten wie Rubine, umhüllt und verschleiert von Nebelschwaden.
Die Barke kam von rechts. Sie dümpelte in der Strömung, rollte langsam und gemächlich im Wasser, genau vor ihnen. Niemand war an Bord; sie hatte sich aus ihrer Vertäuung gerissen. Arvin steuerte links daran vorbei und lenkte das Boot mit seinem Heckruder.
Sie würden an der Barke vorbeikommen, aber für Roderic blieb kein Platz mehr. Der Preuße hielt den Abstand zur Barke nicht so groß, daß zwei Boote dazwischen gepaßt hätten, sondern blieb stur auf seinem Kurs. Er wollte Roderic zwingen, ihn vorbeizulassen, damit er nicht mit der Barke kollidierte, und selbst in diesem Fall würde nur ein verzweifeltes Manöver einen Zusammenstoß abwenden können.
»Werter Herr, gezwungen, zwischen zwei unangenehmen Möglichkeiten zu wählen«, rief Roderic, und seine Worte schallten klar über das Wasser, »drehe ich mich wie eine Nadel ohne Magnet. Ich überlasse die Wahl Ihnen, Arvin.«
Er schaute nicht einmal herüber, sondern legte sich noch mehr in die Riemen, bis sein Boot, das leicht in Führung lag, sich auf das des Preußen zubewegte. Und augenblicklich hatte Kronprinz Arvin die Wahl, die Lücke zu weiten und dem Prinzen von Ruthenien den Vortritt zu lassen oder ihn zu rammen.
Estes fällte die Entscheidung. Er saß fluchend im Bug, setzte sich über das Manöver des Kronprinzen hinweg und lenkte den Bug des Bootes mit seinem Ruder beiseite. Arvin, mit zornig verzerrten Zügen, reagierte, indem er mit dem Heckruder gegenlenkte, aber das gegnerische Boot war bereits durch die Öffnung geschossen, die Estes geschaffen hatte. Jared und Juliana jubelten, und Roderic sang ächzend ein leises Lied.
Aber das plötzliche Umlenken des Preußen trieb das Boot, in dem Mara kauerte, seitlich zur Strömung. Der Fluß ergriff es, wirbelte es herum und schleuderte das Heck gegen die Barke. Das hölzerne Boot donnerte gegen das schwere Gefährt. Seine Planken krachten mit einem Geräusch wie ein aufgeschlagenes Ei, dann wurde es halb unter die Barke gezogen. Wasser schwappte über das Dollbord, füllte den Boden, so daß es nach unten gerissen wurde wie ein Blatt im Rinnstein. Zischend erlosch die Laterne. Mara sprang auf, als ihr das Wasser schon halb zu den Knien reichte, und einen Augenblick später stürzte sie kopfüber in den Fluß.
Kalt, kalt. Das Wasser raubte ihr den Atem und zerrte Umhang und Röcke nach oben, die wie ein verheddertes, sie einschließendes Leichentuch um sie herum aufstiegen. Tiefer und tiefer sank sie, dann drehte sie sich, vollkommen gelähmt. Ihre Lungen begannen zu brennen, ihr Gehirn löste sich mit einem unhörbaren Schrei aus seiner Starre, dann begann sie zu treten und versuchte, ihre Arme aus dem verwickelten, wasserschweren Stoff zu befreien. Ihr Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, und sie schnappte hustend nach Luft, öffnete schließlich auch die Augen. Sie war unter der Barke hindurch auf die andere Seite gezogen worden.
Sie konnte nicht schwimmen. Sie konnte sich ein paar kurze Minuten über Wasser halten, wenn sie aus Leibeskräften strampelte und mit den Armen ruderte, aber sie wußte, daß ihre Kräfte nicht lang reichen würden, vor allem, wenn die schweren, nassen Kleider sie nach unten zogen. Der Fluß trug sie davon wie ein Stück Treibgut. Sie konnte die anderen nicht sehen, wußte aber, daß sie ein Stück hinter ihr sein mußten. Sie hatte jedoch nicht die Kraft, sich umzuschauen, konnte sich nicht darauf verlassen, daß man sie retten würde, nicht solange Kronprinz Arvin und Estes noch ans Trockene gebracht werden mußten.
Vor ihr war die Brücke. Die Gäste des Prinzen schrien und riefen etwas herunter. Wurde sie gesehen? Sie wußte es nicht; es war dunkel, und der Fluß war breit. Aber
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