Zigeunerprinz
ein Stützpfeiler unter einem der Bögen kam schnell auf sie zu.
Sie schlug mit erstaunlicher Wucht dagegen. Weißglühender Schmerz fuhr durch ihre Seite, aber sie streckte die Arme aus, um sich am Stein festzuhalten. Ihre tauben Finger rutschten über den mit glitschigem Efeu bewachsenen Pfeiler. Ihre Nägel brachen, als sie sich daran festzuklammern und höher zu strecken versuchte. Dann spürte sie rauhes Gestein. Ihre Finger bekamen Halt, hielten sie. Hustend hing sie halb im Wasser, und ihr Atem klang rauh und hohl in ihren Ohren.
Sie würde sich nicht lange halten können. Sie war so schwer, so vollgesogen, der Fluß zerrte an ihr, und ihre Fingerspitzen waren taub. Sie hatte das eigenartige Gefühl, ihre Beine und Füße seien warm, und begriff mit Entsetzen, was das bedeutete - ihr Körper begann langsam im Eiswasser zu erfrieren. Es war dunkel unter der Brücke, dunkler noch als draußen auf dem Fluß. Gleich würde sie den Halt verlieren und in noch größere Dunkelheit davontreiben. Immer noch klammerte sie sich hartnäckig an den Stein, zögerte sie den Augenblick heraus, hing sie an ihren Fingerspitzen, hatte die Wange auf den schleimigen Stein gebettet und die Augen geschlossen.
Etwas platschte neben ihr. Ein Nebelfinger fuhr ihr übers Gesicht, und ein Zittern wie warmer Schmerz durchfuhr sie. Eine Stütze legte sich um ihre Taille, nahm das Gewicht von ihren Händen; immer noch ließ sie nicht los.
»Lassen Sie, stützen Sie sich auf mich«, sagte Roderic ihr ins Ohr, indem sich sein Arm um sie schloß.
»Nein.«
»Ist das Stolz oder Vorsicht? Hören Sie gut zu, ma chere, und merken Sie sich meine Worte: Kein Schicksal ist so schlimm wie der Tod, keines. Und keines wäre für mich schlimmer, als Sie zu verlieren, ohne daß ich Sie je kennengelernt hätte.«
Bewegungslos hingen sie im eiskalten Wasser, die tauben Leiber eng aneinandergepreßt. Dann drehte sich Roderic von ihr ab. Er pfiff kurz und grell.
Das Klatschen und Knarren von Rudern war zu hören, und ein Boot kam auf sie zu. Mit starkem, festen Griff nahm der Prinz Maras Gewicht auf sich, und sie ergab sich mit einem Seufzer. Einen kurzen Augenblick wurde sie gehalten, dann riß man sie aus dem Wasser. Feste Hände umklammerten sie, zogen sie grob, aber gekonnt über das Dollbord. Das kleine Gefährt schaukelte, als Roderic sich über die Seite hievte, dann fielen sie beide zu Boden, lagen in einer algigen und fischig riechenden Pfütze unter Roderics Uniform, während Luca und Jacques ans Ufer ruderten.
Eine Kutsche wartete bereits, als Roderic sie die Stufen hinauftrug. Am Schlag verharrte er und wandte sich zu seinen Gästen um, die sich starrend, aufgeregt schnatternd und Fragen rufend um ihn versammelt hatten. Sein Gesicht war von Müdigkeit und Abscheu überschattet, als er sprach.
»Der Abend ist beendet. Sie können gehen.«
9. Kapitel
Die Kutschfahrt zurück zum ruthenischen Haus war kalt und ungemütlich und endlos. Mara saß zusammengekauert in ihren klammen Kleidern, bibberte mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte, sich nicht allzu schwer auf Roderic zu lehnen, der sie hielt. Es schien falsch, seine Wärme, seine Fürsorge für sich zu beanspruchen. Falsch auch, ihm ihre Nähe aufzudrängen, obwohl es ihm nicht angenehm war. Sie hätte sich an ihn geklammert und ihre magere Wärme mit ihm geteilt, hätte er sie nötig gehabt, aber er hatte es nicht. Vielleicht dank des starken Branntweins, der Anstrengung beim Rudern oder seiner Bemühungen, sie im Wasser zu finden, dampfte er fast vor Hitze. Das Wasser troff aus seinen Haaren, rann aus den goldenen Strähnen, die er mit den Fingern zurückgestrichen hatte, und tropfte ihm von Nase und Kinn. Er schien es gar nicht zu bemerken.
»Was - was ist mit Estes und dem Kronprinzen Arvin?« fragte sie.
»Sie folgen uns mit Michael und Trude, die beide aufgefischt haben. Estes plappert ununterbrochen. Er ist leicht erregbar. Arvin sagt keinen Ton.«
»Ich - ich hoffe, Sie sind zufrieden.«
Er schaute auf sie herab. »Sollte ich das sein?«
»Wie ein Vöglein im Mai, trala-la. Sie ha-haben den Kronprinzen gezwungen, seine Schwä-wäche zu o-offenba-ren, s-seine Besessenheit, um jeden Preis zu ge-gewinnen.«
»Aber Sie müssen zugeben, wenn er diese Schwäche nicht gehabt hätte, wenn er so galant gewesen wäre, meinem Team eine faire und gleiche Chance zu geben, dann wäre er nun derjenige, der besser dastünde, als ein Mensch, der eher eine Niederlage hinnimmt, als
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