Zigeunerprinz
des Raumes, den Rücken dem kleinen Feuer zugewandt, das im Kamin brannte. Er hatte eine afrikanische Orange aus einer auf einem Tisch stehenden Schale genommen und aß sie ungeschält aus der Hand, als wäre es ein Apfel.
»Ach, Mademoiselle, vergeben Sie mir, daß ich Ihre Hand nicht küsse«, sagte er mit großer Geste und einem genialischen Lächeln, »aber ich bin ein bißchen klebrig.«
»War kein Obstmesser da? Das tut mir leid. Ich lasse sofort eines bringen.«
»Nein, nein, ich bitte Sie! Das braucht es nicht. Alle guten Dinge im Leben haben einen bitteren Beigeschmack und sind nur schwer zu genießen.«
»Aber bestimmt -«
»Das ist nicht nur meine Theorie. Mein Freund Hugo verspeist manchmal den Hummer mitsamt der Schale; ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Was für Kiefer der Mann hat und was für Zähne! Phantastisch.« Er nahm einen weiteren großen Bissen von der Orange und zermalmte genußvoll die Kerne.
»Wie Sie meinen«, sagte Mara und ging zum Kanapee. »Ich bin überzeugt, daß es der Prinz bedauern wird, Ihren Besuch verpaßt zu haben.«
»Ein faszinierender Mann, der Prinz, und ein anregender Gesprächspartner, aber Sie sind viel attraktiver anzusehen, Mademoiselle.«
Es war pure Galanterie, und Mara machte nicht den Fehler, mehr dahinter zu vermuten. Sie erkundigte sich, an welchem Werk der Autor gerade arbeitete, und lauschte mitfühlend seinen Erzählungen von unkooperativen Romanfiguren, schlaflosen Nächten und blutsaugerischen Verlegern. Unter dem rauhen, ungeschlachten Äußeren verbarg sich ein hochsensibler Mensch, fand sie. Sie hatte einige seiner Geschichten gelesen und war erstaunt darüber gewesen, wie gut er die Frauen verstand. Das sagte sie ihm auch.
»Wie freundlich von Ihnen. Wie freundlich. Sie kommen zu mir, diese Frauen, über die ich schreibe, wie eine Vision der Leidenschaft in der Nacht. Frauen werden von dieser Leidenschaft, von der Liebe beherrscht. Sie sind nicht so von ihrem Selbst eingenommen wie die Männer, deshalb können sie sich, ihr Leben, selbst ihren Körper, durch diese Leidenschaft verwandeln. Nicht die von Männern gemachten Dinge sind in dieser Welt von Bedeutung, sondern die Familie, die eine Frau aus dieser unermeßlichen Liebe heraus erschafft.«
»Wie seltsam, einen Mann so etwas sagen zu hören.«
»Alle Männer, die Augen haben zu sehen, wissen das«, sagte er schlicht. »Ist die Ehe nicht nur der Versuch der Männer, diese Liebe für ihre eigenen Zwecke, für ihre eigenen Bedürfnisse zu kanalisieren?«
»Ja«, stimmte sie zu. Dann kam ihr plötzlich eine Idee, und sie fuhr fort: »Monsieur Balzac, Sie kennen Paris und die Pariser gut. Würden Sie meinen, daß der Prinz seine Mätresse zu, sagen wir, dem Ball der Vicomtesse Beausire mitnehmen könnte?«
»Warum sollten Sie an dem Empfang teilnehmen wollen? Es wird todlangweilig werden.«
»Ich meine es ernst.«
»Ach.« Er nickte langsam, steckte sich den letzten Bissen von seiner Orange in den Mund, wischte sich die Hände an seinem Taschentuch ab und kam zu ihr, um sich neben ihr niederzulassen. »Bedauerlicherweise ist das nicht mein Milieu. Natürlich habe ich Freunde unter der Aristokratie, aber ich verkehre nicht in diesen Kreisen. Sind Sie enttäuscht?«
Sie überging die Frage. »Aber sie schreiben darüber, ebenso wie sie über die Ärmsten von Paris geschrieben haben. Sie müssen wissen, was dort erwartet oder erlaubt wird?«
»Auf jeden Fall nehmen sich die Aristokraten größere Freiheiten heraus als die Bourgeoisie, die fade Mittelklasse, die in steter Angst davor lebt, was man über sie denken könnte.«
»Das ist keine Antwort«, sagte sie mit ruhigem Blick und ernster Stimme.
Er seufzte. »Sie sind eine schwierige Frau. Ja, ich nehme an, der Prinz könnte Sie mitnehmen, wenn er das wünschen sollte. Sie sind nicht gerade eine stadtbekannte Kurtisane. Er könnte sie immer noch als entfernte Verwandte ausgeben, wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte, wenn Sie zum Beispiel dem König vorgestellt würden.«
»Da sei der Himmel vor«, verkündete Mara inbrünstig.
»Das Risiko besteht.« Balzac zuckte mit den massigen Schultern. »Aber warum wenden Sie sich mit diesem Problem an mich? Warum fragen Sie nicht einfach den Prinzen?«
»Ich wollte erst wissen, ob es überhaupt möglich ist, bevor ich ihn belästige.«
Balzac nahm ihre Hand an sich und hob sie an seine Lippen. »Ganz bestimmt würde er keine Ihrer Bitten als Belästigung empfinden, Mademoiselle.
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