Zigeunerstern: Roman (German Edition)
später seine jüngeren Brüder und Schwestern misshandelte … »Shandor ist ein Problemkind«, sagten sie alle zu mir, aber keiner brachte anscheinend den Mut auf zu sagen: »Shandor ist ein Ungeheuer.«
Und natürlich hätte ich diese Bezeichnung für meinen Sohn damals nicht gelten lassen können, denn ich war in meiner Liebe zu ihm noch völlig verblendet. Dass er schlimm war, das wusste ich, doch ich redete mir ein, es handle sich nur um die üblichen Lausbubenstreiche. Das würde sich auswachsen. Und wenn er mich anlachte oder gar frech auslachte, redete ich mir noch immer ein, er werde sich ändern. Und wenn ich ihn verdrosch, weil das nötig war, lachte er noch immer. Ich bewunderte ihn sogar deswegen. Was für ein prächtiges starkes Kerlchen, dachte ich, er fürchtet nicht einmal seinen eigenen Vater. Aber bald wird er ein feiner netter Junge sein. Und ich verschloss einfach die Augen vor der Verderbtheit, die ihn durch und durch erfüllte. Als ich dann endlich begriff, wie er war, war es bereits zu spät, auch nur den Versuch zu einer Korrektur zu unternehmen. Und dann entglitt mir auch jede Möglichkeit, mit Shandor irgend etwas zu unternehmen; denn die Geschichte wiederholte sich, wie das anscheinend immer der Fall ist, sobald man nur mal einen Augenblick lang nicht aufpasst. Bankrott, Zerschlagung der Familie, das Exil, der Verlust der geliebten Frau, die Kinder dem Vater entrissen: Ich bekam die ganze geballte Ladung wieder verpasst, ganz so, als hätte ich meine Lektion beim ersten Mal nicht gründlich genug gelernt. Und nichts von den Geschehnissen war irgendwie besonders meine Schuld. Na und? Wenn es für dich an der Zeit ist, Lebensprügel zu beziehen, dann ist es dem Schicksal pupegal, wer und ob da eine Schuld hat.
Es passierte aber folgendes: Esmeraldas Familie verkaufte einen frisierten Planeten zuviel. Das war ein Ding namens Varuna im System einer Zentralsonne namens Corposanto, irgendwo weit draußen beim Jerusalem Spill. Esmeraldas Leute strengten sich diesmal besonders an. Der Planet war dermaßen erbärmlich, dass die Flüsse Salzwasser führten und die örtlichen Schmetterlingsspezies Giftstacheln hatten. Aber man baute den Ort völlig um, nahm tiefgreifende dekorative ›Sanierungsmaßnahmen‹ vor, bis der Planet der hübscheste Attraktionspunkt nach Xamur war; dann überließ man das Objekt für eine horrende Summe einer Gruppe von erfolgslüsternen Heißspornen von Gaje-Bodenspekulanten, die vorhatten, den Planeten in extrem teure Luxusgrundstücke für die Lords des Imperiums zu parzellieren.
Bei diesem Geschäft muss wirklich allseits eine Art besoffener übergroßer Vertrauensseligkeit geherrscht haben. Die Käufer zahlten uns nicht nur einen spektakulären Preis für Varuna, sondern bei ihren eigenen Abmachungen mit den Letztkäufern aus dem Imperium vereinbarten sie auch noch besonders geringe und langfristige Abzahlungsbedingungen, was natürlich nur der uralten Tradition entsprach, dass man Aristokraten stets und immer günstige Konditionen einräumen sollte, weit günstigere, als man das bei gewöhnlichen Leuten je erwägen würde. Aristos fühlen sich geschmeichelt durch diese in deiner Großzügigkeit scheinbar zum Ausdruck kommende Unterwürfigkeit, und es stört sie nicht, dass sie dann gewaltig übervorteilt werden, solange sie nur die Rechnungen nicht sofort bezahlen müssen.
Und dann kamen die verschiedenen betrügerischen Maßnahmen, die man auf Varuna angestellt hatte, unplanmäßig verfrüht ans Licht, und der Planet fiel wieder in seinen ursprünglichen bedauernswert miesen Zustand zurück, und zwar viel rascher, als wir erwartet hatten. Die Bauunternehmer hatten aus den Grundstücksverkäufen noch kein Geld gemacht, und die imperialen Lords annullierten ihre Kaufverträge scharenweise. Und als die Baulöwen nach Iriarte kamen, um ihr investiertes Geld zurückzufordern, fuchtelten Esmeraldas Leute ihnen mit dem Kaufvertrag vor der Nase herum. Wollt ihr bitte mal nachlesen, hier, der Paragraph 22 A, sagten sie. Wir übernehmen keinerlei Verantwortung für Umweltveränderungen, die sich nach Übertragung der Besitzrechte einstellen. Die Entwicklungsgruppe schrie laut, dann müssten sie Bankrott machen. Esmeraldas Clan drückte tiefes Mitgefühl aus, genau wie man das bei den verschiedensten Anlässen in der Vergangenheit getan hatte, und begab sich dann achselzuckend wieder an die vorliegenden Tagesgeschäfte. Natürlich, rechneten sie sich aus, würden diese
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