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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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österreichischen Siegertrupps umzingeln die Zigeuner, die bis zuletzt weiterkämpfen, mit Knüppeln, Messern, mit den Fäusten, mit allem, was nur greifbar ist. Und die Angreifer sehen, dass hier ja gar keine Ungarn mehr sind, dass nur noch die paar Zigeuner die Festung zu verteidigen versuchen. Und dann erscheint der österreichische General. Er breitet im weiten Bogen beide Arme aus und ruft: »Rennt, ihr Zigeuner, rennt, so schnell ihr könnt!« Es wird nicht der Versuch unternommen, sagt er, Gefangene zu machen. Und so verziehen sich die besiegten Zigeuner rasch und schnell, und die Österreicher lassen sie entkommen. Und die Feste Groß-Ida ist verloren. Es verharren nur noch ein paar Roma-Gespenster dort. Dort, ganz weit drüben ist Polarca. Und da ist ein weiterer Yakoub, und dort hoch droben auf den Zinnen noch einer. Und dort? Ist das Valerian? Vertraute Gesichter überall … Es war eine sehr grandiose Niederlage, und wir haben uns alle eingefunden, um als Zeugen dabei zu sein. Einige von uns taten dies mehrere Male. Ja, so ist wohl im allgemeinen unsere Geschichte immer verlaufen, vermute ich. Eine grandiose Niederlage nach der anderen. Und leider, leider – immer Niederlagen. Aber stets glorreich, versteht sich.

 
     
     
    VI. Canción
     
     
     
    EINE KERZE IST GANZ FLAMME VOM ANFANG BIS ZUM ENDE
     
     
     
    Setz dich ans Ufer des Flusses und warte.
    Früher oder später siehst du
    die Leiche deines Feindes vorbeitreiben.

1
     
    Ihr versteht mich doch richtig und begreift, dass mein Kerkerdasein nicht nur aus fröhlichem Herumspuken bestand. Man verträgt davon nämlich nur ein gewisses Quantum, dann wird man der Sache überdrüssig. Auf und hinab und weit, weit fort, genug – und zuviel: Ektoplasmatisches Leben bringt einem ja ganz schön viel Spaß, aber auf Dauer werden diese Freuden eben doch manchmal fad.
    Gewiss, das Leben in einem Kerkerverlies wird ebenfalls fad – und sogar weit rascher. Aber es ist weniger mühsam. Geistreisen verlangt dir nämlich ganz schön viel Saft ab – und zwar in jedem Lebensalter. (Ich glaube jetzt allerdings, dass es mich mit zwanzig bei weitem stärker schlauchte als heute, so etliche hundertfünfzig Jahre später.) Also besteht der Trick darin, dass man ein weises Gleichgewicht findet zwischen der Langeweile einer völligen Abstinenz von Geist-Trips und dem Exzess. Im Übrigen gilt das auch für alles andere im Leben. Du leistest dir dieses Übermaß und dann jenes andere Übermaß, nach der einen und der anderen Seite hin, und insgesamt gleicht es sich dann wieder aus – sofern du Glück hast. Und wenn du lange genug überlebst, dann kannst du von dir behaupten, du habest ein ›hübsch ausgewogenes Leben‹ gehabt. Die Theorie von den einander ausgleichenden Exzessen. Auf lange Sicht finden alle Kräfte zu einem Gleichgewicht und die Extreme neutralisieren sich gegenseitig. Man nennt das die Rückführung auf das gemeinsame Mittelmaß, und langfristig ergibt sich dabei dann ein ›sehr glückliches Leben‹. Kurzfristig allerdings kannst du dabei völlig durchdrehen und den Verstand verlieren.
    Nichts derart Dramatisches geschah mir in Shandors Oubliette. Ich spukte dorthin und dahin, und in den Pausen zwischen meinen Geister-Trips zählte ich die Steinplatten des Fußbodens, ich zählte die Blöcke, aus denen sich die Wände aufbauten, und ich berechnete die Goldmenge, die in feinverteilten Atomen in Boden, Wänden und Decke lagern musste. Ich spielte mit meinen Schlangen, ich erzählte meinem Moderschimmel alte Geschichten, ich versuchte, meine Protozoen bei ihren Flimmerschwänzchen zu packen, und wenn die Ratten sich hervorwagten, um zu tanzen, beglückte ich sie mit Ansprachen in mehreren verschiedenen Sprachen und Dialekten.
    Es war – alles in allem – wie bei einem äußerst langen Relais-Sweep, wenn auch ein bisschen interessanter, weil man normalerweise auf einem Sweep-Trip keine Schlangen, Schimmelschleim, Protozoen und Ratten zur Verfügung gestellt bekommt, die einen von der gigantischen Ödnis der Reise ablenken können. Und auch sonst gibt es da nichts. Andererseits bist du dabei aber wirklich auf einer Reise, bist unterwegs und kommst irgendwann mal irgendwo an. Und während die Stunden sich zu Tagen reihten, und die Tage sich zu unendlichen langen, langen Zeitsträhnen, die nicht mehr entwirrbar schienen, ausdehnten, kam mir immer häufiger der Gedanke, dass ich hier in der Tiefe möglicherweise nirgendwohin kommen könnte.

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