Zigeunerstern: Roman (German Edition)
leidet. Gewerbe und Handel gehen zugrunde. Die Sternenschiffe fliegen nicht mehr an ihre richtigen Zielorte. Sofern sie überhaupt starten. Niemand weiß mehr mit Sicherheit, wer nun König ist, und einen rechten Kaiser haben wir auch nicht mehr. Es besteht die Gefahr, dass das gesamte System auseinanderbricht.«
»Das kann mir nur recht sein.«
»Ich traue meinen Ohren nicht. Hast du das wirklich gesagt?«
»Wieso bist du in die Sache verwickelt, Syluise?«
Sie überhörte meine Frage und rückte mir noch näher. Vorspiel zu allem möglichen. Sie bedachte mich mit der Vollnarkose: wogende Brüste, geblähte Nasenflügel, schwüle Glutblicke unter halbgesenkten Lidern hervor. Sie wand sich. Schenkel rieben sich an Schenkeln. Heißer Atem auf meinen Wangen. Ihre unersättlichen Lippen fingerbreit vor meinem Mund. Also kurz, das ganze Arsenal ihrer unwiderstehlichen Waffen, ihre schweren Geschütze. Es war schon beinahe komisch. (War sie mir jemals früher als komisch erschienen? Und hatte ich sie früher wirklich dermaßen unwiderstehlich gefunden?) Eindeutig, etwas in mir durchlief einen Wandel. Vielleicht war ihr Zauber zunichte geworden, weil ich wusste, dass sie als Shandors Agentin zu mir gekommen war. Sie hatte mich betrogen. Mich verraten. Nie zuvor war ich in der Lage gewesen, ihr Widerstand zu leisten, aber was sie mir hier zumutete, das war einfach zuviel – dieses dummdreiste offenkundige Manöver zu Shandors Gunsten. Stumm sprach ich unser Roma-Gebet für die Toten. Wir waren fertig miteinander, diese goldene Viper und ich. Wahrhaft fertig.
»Weißt du, wie sehr du mir gefehlt hast, Yakoub?«
»Sag es mir!«
»Ach, lass doch Shandor König sein. Du hast das doch schon hundert Jahre lang gehabt.«
»Nicht ganz so lange.«
»Ach, was, wie viel immer, du hast genug davon gehabt. Übergenug. Gib ihm doch mal 'ne Chance! Willst du denn ewig König bleiben? Wozu?«
»Nicht für ewig. Nur lange genug, um das Werk zu vollenden, das zu tun mir noch aufgetragen ist.«
»Lass Shandor es vollenden! Und wir zwei, du und ich, wir ziehen irgendwo hin. Wo es schön ist. Nach Fulero oder Estrilidis, Tranganuthuka. Würdest du nicht gern zusammen mit mir ein, zwei Jahre auf Fulero leben wollen?«
»Wie viel bezahlt er dir?«
»Yakoub!«
»Mir fällt da was Besseres ein. Wie wäre es denn, wenn du – statt mit mir nach Fulero zu fliegen – hier bei mir bleiben würdest. Hier, in dieser Zelle, nur wir zwei beide, ganz allein? Das Essen wird dir nicht besonders schmecken, aber sonst ist es hier nicht allzu übel. Und dann sitzen wir Shandor einfach aus. Früher oder später kriegt er 'nen Riss und geht in Stücke, oder jemand stürzt ihn, und dann treten wir wieder ins Rampenlicht. Triumphales Comeback. Dann schaffe ich wieder Ordnung auf den Welten. Und wir verbringen die halbe Zeit auf Galgala und die andere Hälfte auf Xamur. Und du könntest dich Königin nennen, wenn du dazu Lust hättest.«
»Was?«
»Ich weiß, wir Zigeuner haben keine Königinnen. Aber wir können doch mal eine Ausnahme machen, einmal bloß. Das würde dir doch gefallen, oder?«
»Du machst Spaß. Du würdest mich zur Königin machen?«
»Wieso nicht?«
Ich spielte nur mit ihr. Genauso wie sie mit mir gespielt hatte.
»Nein«, sagte sie. »Das würde einen entsetzlichen Aufstand geben. Du kannst nicht nach all der langen Zeit auf einmal den Roma eine Königin unterjubeln. Und ich will auch gar nicht Königin sein. Genauso wenig wie ich will, dass du weiter König bist. Wozu hast du das denn nötig? So eine Masse trostlose Arbeit. Soviel hässliches, dummes Zeug. Komm fort mit mir und lass uns doch einfach unser Leben genießen, und soll den Kram jemand anderes erledigen.«
»Zum Beispiel Shandor?«
»Ach, wen stört das schon?«
Ein Gefühl wundersamer Befreiung zog in mein Herz ein.
»Mich stört es«, sagte ich.
»Dann vergiss es! Lass doch das alles sausen.«
Ich fuhr ihr mit den Händen über die Schultern. Ihre Haut glühte vor Hitze, und doch hatte ich das Gefühl, als streichelte ich eine Statue. In mir war alles taub. Und sie – neckisch pseudoscheu – wich tänzelnd zurück und entzog sich meinen Händen.
»Komm her!«
»Komm mit mir nach Fulero!«
»Bei anderer Gelegenheit.« Ich griff erneut nach ihr.
»Nein.«
»Nein?«
»Nicht hier. Nicht in diesem scheußlichen bedrückenden Loch.«
»Aber du hast doch gesagt, ich habe dir gefehlt. Nun, der Trennungsschmerz war wohl nicht allzu heftig, möchte ich
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