Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Land. Der Herr Naria von Vietoris mag ja gut und gern eine Menge freundlicher Züge besitzen, die wie vergrabene Schätze irgendwo tief drunten in seiner Seele blinken mögen, aber ich hatte noch nie einen Beweis für ihr Vorhandensein erlebt, und so wünschte ich ihm für den künftigen Wettbewerb mit recht frostigen Gefühlen Glück.
Sunteil, Periandros, Naria. Würde ich durch meine Rückkehr in das Reich die Wahl eines von ihnen beeinflussen können? Sollte ich es? Würde ich es wollen? Julien de Gramont hatte natürlich recht, wenn er mir sagte, ich müsse mir einfach Sorgen wegen des bevorstehenden Gerangels machen. Denn wer über das Imperium herrscht, davon sind wir Roma genauso betroffen wie die Gaje: schließlich leben wir ja in einer gemeinsamen Galaxie. Und nur ein Narr könnte glauben, dass es möglich sein kann, die Belange der Roma irgendwie realistisch und feinsäuberlich von den Interessen der Gaje zu trennen; nein, nein, die beiden Rassen stehen in einer Interdependenz, sie bedingen einander und können nicht ohne die andere sein, und das wissen wir doch nur zu gut. Wir alle. Immerhin haben wir Roma ja aus diesem Grund das Reich überhaupt erst begründet.
(Versucht nicht, einen Gajo von dieser Wahrheit zu überzeugen; er glaubt sie euch nicht! Aber wozu solltet ihr euch auch die Mühe machen?)
»Alles schön und gut, aber wirst du denn schließlich wieder zurückkommen?«, fragte Julien.
Wir hatten gespeist und gegessen und dann noch mehr Köstlichkeiten in uns hineingestopft, und nun hatte er aus seinem Overpocket eine Karaffe edlen, alten, goldfunkelnden Cognac aus Galgala hervorgezaubert, und er sank ganz ohne Schwierigkeiten in unsere Körpertiefen hinab. Jedoch hatte ich bereits, kaum war mir der erste Knabenflaum auf den Lippen und anderwärts dunkler geworden, durch das Leben in dem eleganten Palast meines Ziehvaters, Loiza la Vakako, gelernt, was man tun muss, um zu vermeiden, dass einem das Hirn davonfließt, während einem der Alkohol in den Bauch rinnt.
»Auf dein Wohl!«, brüllte ich mit erhobenem Glas.
Er hob mir das seine entgegen. »Pferde und Taler«, toastete er mir in gutem Romansch zurück.
Wir tranken, und ich bedeutete ihm, er möge uns die Gläser wieder füllen.
»Glanz und Grazie«, sagte Julien.
»Freude und Diebsspaß«, konterte ich.
»Köstliche Wonnen und kostbare Waren!«
»Viel Witz und viel Wollust!«
»In deinem Alter, Yakoub«, sagte er. »Pfui, du bist ein Wüstling!«
»Ach nein, ich bin ein sehr undramatischer Mensch, ich meine, in meinem Innersten. Da bin ich ebenso grau und trüb wie dein Lord Periandros, mein Freund. Trinken wir noch ein Glas und lassen es dann für heute Abend genug sein?«
» Warum willst du nicht ins Reich zurückkommen?«, fragte er mich noch einmal. »Du bist seit fünf Jahren fort. Ist das denn nicht lange genug?«
»Mir kommt es jedenfalls nicht so vor.«
»Aber es wird ein Chaos hereinbrechen, wenn der Kaiser tot ist. Du kannst das doch nicht wollen?«
»Wie sollte ich es verhindern? Außerdem, manchmal ist Chaos eine recht wünschenswerte Sache.«
»Für mich nicht.«
»Julien, du bist ein ganz bezaubernd netter Mensch, aber du bist ein Gajo. Es gibt vieles, was du nicht verstehen kannst. Ich glaube, ich werde hierbleiben.«
»Wie lange noch?«
»Bis die Zeit gekommen ist, dass ich weggehe.«
»Aber, Yakoub, diese Zeit ist jetzt. «
Ich zuckte die Achseln. »So soll denn das Chaos kommen. Es geht mich nichts an.«
»Yakoub, wie kannst du so etwas sagen? Du, ein Mann mit Ehre, mit Verantwortung, ein König …«
»Ex-König, mein Julien.« Ich stand auf, reckte mich und gähnte. »Wir haben die halbe Nacht lang geschlemmt und getrunken. Die Sterne kommen und verschwinden im Himmel. Wollen wir jetzt nicht sagen, es war genug für heute, und einander eine gute Nacht wünschen?« Es passte zwar überhaupt nicht zu mir, der ich sonst niemals sage, etwas sei genug; aber möglicherweise setzte ja gerade in diesem Augenblick eine Verwandlung in mir ein. Vielleicht begann ich in diesem Moment, alt zu werden. War so etwas denn möglich? Nein, nein, also das wollte ich nun wahrhaftig nicht glauben. Vielleicht war der Grund nur einfach der, dass ich es allmählich leid geworden war, mich gegen Juliens Hartnäckigkeit verteidigen zu sollen.
Er starrte mich lange an, ohne mir zu antworten.
Schließlich sagte er leise und in makellosem Romansch: »Ich verzeihe dir, und möge auch Gott dir verzeihen.«
Das traf mich
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