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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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betäubend wie ein Schlag auf den Kopf. Denn diese Worte sprechen Leute meines Volkes nur in einem Augenblick, in dem letzte Gewissensdinge bereinigt werden; solche Worte spricht man zu einem Sterbenden, oder es spricht sie ein Sterbender, um alle Schulden zu tilgen. Wusste Julien dies? Er musste es wissen. Fast sein ganzes Leben lang hatte er uns Roma nahegestanden. Also wusste er doch ganz genau, was er sagte, als er diese Worte aussprach: Te aves yertime mandar! – Ich vergebe dir! Seine Worte beunruhigten mich und jagten mir Furcht ein, wie dies kaum je zuvor in meinem Leben, das lange schon währte, geschehen war.
    »Noch einen letzten Tropfen?«, sagte er und nach einer Weile.
    »Ich glaube, für diese Nacht haben wir genug getrunken«, antwortete ich ihm.
     
     
    7
     
    Julien blieb dann noch weitere drei Tage bei mir, oder waren es fünf, vielleicht auch zehn, jedenfalls so lange kam es mir vor. Aber er hätte gern einen Moment bleiben können, oder für immer, wenn ihm danach zumute gewesen wäre. In der Wahl unserer Gesprächsthemen waren wir außerordentlich behutsam. Also sprachen wir vorwiegend über Kulinarisches, denn Essen, bzw. die Küchenkünste sind ja ein relativ gefahrloses Thema. Jeden Tag zogen wir zur Jagd oder zum Fischen hinaus und kehrten mit Schlitten, vollbeladen mit dem Getier Mulanos, zurück, und abends bereitete uns Julien dann unsere Beute auf die klassische französische Manier zu, wobei er die einzelnen Vorgänge Schritt für Schritt erklärte.
    Er war ein wundervoller Küchenkünstler. Ich fing ihm einen Würzfisch, und er erkannte instinktiv, dass dafür nichts weiter vonnöten sei an Gewürzen, als ihn in seinem Eigengeschmack sieden zu lassen. Doch mit allem anderen zauberte er wahre Wunder hervor, obwohl er doch nur das kleine Sortiment an Kräutern und Gewürzen zur Verfügung hatte, das ich mir aus dem Reich mitgebracht hatte. Aber was er damit für Wirkungen erzielte, das war wahrlich verblüffend. In einem Schneeland wie Mulano, wo die Vegetation karg ist, gibt es natürlich auch nicht viele Tierarten. Abgesehen natürlich von den Gespenstern, die sich von elektromagnetischer Energie ernähren und sich einen Dreck darum kümmern, ob da Weidegras ist. Aber was sich da sonst an Getier fand, das schien mir vordem niemals besonders schmackhaft gewesen zu sein. Gewiss, die Würzfische sind herrlich – aber alles sonst kam mir, gaumenmäßig, bestenfalls fade vor. Und trotzdem gelang es Julien, aus einem Nest von Eisläufern etwas Sensationelles zu kreieren. Das sind flache scheußliche kleine Dinger mit einem Halbdutzend hellblauer Augen oben auf dem runden Leib und darunter unendlich vielen huschenden Beinchen. Julien machte aus ihnen ein Ragout – und es war grässlich eindrucksvoll. Er verwandelte einen Korb voller Leopardenschnecken in ein himmlisches Gericht, das Götter nicht verschmäht hätten. Und was er aus Wolkenaalen zauberte, übersteigt alle Phantasie. Ich vermute, er dachte wahrscheinlich sogar ernsthaft daran, seine Kochkünste an Schneeschlangen zu versuchen. Bis ich ihm deutlich sagte, dass ich die Jagd auf Aasfresser nicht dulden würde. Julien hätte vermutlich sogar eine Ladung Gespenster kulinarisch verarbeitet, wenn ihm irgendeine Methode eingefallen wäre, wie er sie hätte fangen können. Einmal, als ich gerade anderwärts zu tun hatte, schlich er sich hinaus und kappte ein paar zarte junge Tentakeln meines Waldes vor der Eisblase, um sie zu einem Salat zu verarbeiten. Das bekümmerte mich ein wenig, weil ich mir vorstellte, wie die verletzten Bäume sich qualvoll unter dem Schnee wanden. Der Salat allerdings war erstaunlich gut.
    Ab und zu redeten wir über alte Zeiten, über gemeinsame Tage, die wir auf dieser oder jener Welt verbracht hatten, auf Xamur, Galgala, Iriarte. Wir redeten über die Frauen – über Syluise, Esmeralda, Mona Elena, auch über seine Frauen. Das war recht amüsant, denn Julien schilderte alle seine Frauen so, als wären sie Göttinnen gewesen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ihnen sogar wirklich das Gefühl gab, sie seien Göttinnen; es gibt Männer, die über dieses Geschick verfügen (allerdings könnten es ruhig ein paar mehr sein). Er sprach von Jahre zurückliegenden Festen, von lieben Freunden, die es auch schon nicht mehr gab, sprach von den Veränderungen, welche die Zeit mit sich bringt. Aber kein einziges Mal erwähnte er noch einmal die Kaisernachfolge oder die Probleme, die durch meine Abdankung entstanden

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