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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Eiszunge, die vom Höhlenboden wie eine Art antiker Altar emporragte; allerdings bezweifle ich, dass es sich dabei um etwas anderes gehandelt haben kann als um eine zufällige Naturformation. Ich trat oft davor hin, legte die behandschuhten Hände auf die glatte Krümmung, schloss die Augen und spürte, wie sämtliche Gestirne auf ihren Wirbelbahnen durch meinen Kopf zogen.
    Auf dem Rückweg von dort überraschte mich der Mittag, und so blieb ich still stehen und versiegelte meine Körperöffnungen. Und in diesem schwebenden Intervall zwischen zwei Augenblicken sprach eine tiefe wohltönende Stimme:
    » Sarishan, meines Onkels Sohn.«
    Die Überraschung traf mich wie ein Stoß. Fast wäre ich zusammengezuckt, vielleicht sogar instinktiv davongerannt. Ein Schwall urzeitlicher Furchthormone strömte plötzlich in meinen Blutkreislauf. Doch reagierte ich ebenso blitzschnell und bekam mich wieder unter Kontrolle, ich blockte den Hormonausstoß ab und befahl meinen Blutzellen, den wilden Ausbruch aufzuzehren, ehe er mein Gehirn erreichen konnte.
    »Damiano!«, brüllte ich. »Vetter!«
    Da war er, als hätte er sich aus einer Schneewehe materialisiert. Eine hagere, dünne Gestalt, von der die schlummernde Kraft einer zusammengerollten Peitsche ausging. Alle Roma sind meine Gevattern, doch Damiano ist mein echter Cousin, denn er ist der Sohn des Sohnes von meines Vaters jüngstem Bruder. Er hat Rom-Augen, und sein dichter wehender Schnauzbart ist echt romansch, doch er hat den Großteil seines Lebens unter der kochendheißen Sonne von Marajo, dem Ort der Glitzersände, verbracht, und zum Schutz gegen diese trägt er seine Körperhaut in wulstigen ledrigen Falten, die für meine Augen weder nach Roma noch nach Gaje aussehen, sondern eher wie zu einem nicht so recht menschlichen Wesen gehörig.
    Er wahrte den gebührlichen Abstand von mir, blickte sich um und schüttelte den Kopf. »Was für ein Ort, Cousin! Der Junge hat mir zwar gesagt, dass es trostlos ist, aber so was hätte ich mir denn doch nicht vorgestellt.«
    »Es gibt hier überwältigende Schönheit, Cousin. Und wundersamen Frieden. Bleib eine Woche hier, oder auch zwei, dann wirst du es erkennen lernen.«
    »Oh, ich glaube dir das aufs Wort«, sagte Damiano. »Störe ich dich, Cousin?«
    »Mich stören?«
    »Ich glaube, du bist nicht erfreut, mich zu sehen.«
    »Devlesa avilan«, sagte ich und entbot ihm so den alten Willkommensgruß. »Es ist Gott, der dich zu mir geführt hat.«
    »Devlesa araklam tume«, antwortete Damiano zeremoniell. »Mit Gott habe ich dich gefunden. Der Kleine sagte, dass es hier weiter nichts gibt als Eis, aber ich glaubte ihm nicht. Aber er hat mir ja nicht einmal zur Hälfte gesagt, wie scheußlich das hier ist. Gibt es hier außer dir nichts Lebendiges?«
    »Es gibt gefrorene Flüsse, in denen Fische wie in Wasser schwimmen. Es gibt Geistergeschöpfe aus purer Energie, sie sind überall um uns herum, während wir hier reden. Es gibt kleine Tiere, die über das Eis wuseln und sich von unsichtbaren Pflanzen ernähren – oder voneinander. Und hinter dem Bergrücken dort drüben, Cousin, liegt ein großer Wald, allerdings wirst du wahrscheinlich die Bäume nicht als Bäume erkennen können.«
    »Und du bist hier – glücklich?«
    »Wie nie zuvor in meinem Leben.«
    »Schau, Cousin, ich bin doch nur Damiano. Es ist also nicht nötig, dass du mit mir einen Schleiertanz um die Wahrheit herum aufführst.«
    Meine Augen müssen zu lodern begonnen haben. »Bist du fünftausend Lichtjahre weit gekommen, um mich einen Lügner zu heißen?«
    »Yakoub, Yakoub …«
    »Hat der Junge dir nicht gesagt, dass ich einen zufriedenen Eindruck auf ihn gemacht habe?«
    »Doch, das hat er.«
    »Und ich wiederhole es dir jetzt noch einmal, ich bin hier glücklich. Sollen wir auch noch die Gespenster um ihre eidesstattliche Erklärung bitten?«
    »Yakoub!«
    »Damiano – mein Vetter …« Und dann begannen wir zu lachen und umarmten einander und hämmerten uns gegenseitig die Fäuste in den Rücken und tanzten auf dem blitzenden glatten Eis einen Freudentanz. »Komm mit mir!«, sagte ich und führte ihn, halb rennend, über die Hügel und Täler zu meiner Eisblase zurück.
    Beim Anblick des Waldes fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Davon hat Chorian nichts erzählt!«
    »Das hat er auch nicht zu sehen bekommen. Ich lebte auf der anderen Seite, als er hier war.«
    »Und das sind deine – Bäume? «
    »Wenn du magst, zeige ich dir, wie sie unter dem Eis

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