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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sich, und ihre Mundwinkel waren zu einer Grimasse verzerrt, die etwas vollkommen anderes war als ein erzwungenes Lächeln.
    Ich begriff, was dieser Gesichtsausdruck zu bedeuten hatte. Sie sammelte alle ihre Energie zu einem Geistertrip.
    Aber auch Pulika Bushengro wusste, was ein solcher Gesichtsausdruck bedeutete. Und er begriff sofort, was mir in diesem ersten verwirrten Moment der Bestürzung entging: dass sie versuchen wollte, ein kleines Zeitstück in die Vergangenheit zurückzugleiten, eine Woche vielleicht, vielleicht auch weniger, um ihren Vater zu warnen, er möge seinen Bruder auf keinen Fall zu dem Fest einladen.
    Und nun brachte der Mann seine gespannte Energie und seine eiskalte Intelligenz ins Spiel. Plötzlich lag in seiner Hand ein Imploder, eine kleine stahlummantelte froschnasige Waffe. Er drückte nur einmal ab – es gab einen weichschmatzenden Laut –, und Malilini schien sich auf einmal in die Luft zu erheben, von ihm fort in die Höhe und nach hinten zu schweben, über die Festtafel hinweg. Sie hing mit dem Gesicht nach oben inmitten der Weinkaraffen und Platten voll Fleischspeisen, und sie bewegte sich nicht mehr.
    Sekundenlang sah es so aus, als werde Loiza la Vakako zusammenbrechen. Seine Züge verzerrten sich, die Schultern bebten, als träfe ein ungeheurer Hammer auf sie. Doch dann sammelte sich seine gewaltige Kraft wieder in ihm, und er stand wieder aufrecht, bewegungslos und scheinbar unbewegt da. Aber ich konnte sehen, dass eisiger Winter in seine Augen gekrochen war. Und dann sah ich einige Zeit lang überhaupt nichs mehr, denn mir stürzten die Tränen aus den Augen, und mit ihnen packte mich eine dermaßen heftige glühende Wut, dass ich wie geblendet war. Ich stieß einen brüllenden Schrei aus und versuchte mich ungeachtet des Messers in meinem Rücken herumzuwerfen, ohne an den Arm an meiner Kehle zu denken. Noch hatte ich die Hände frei, und ich krallte die Finger und wollte die Nägel in Augen, Lippen, Nasenlöcher schlagen, irgendwohin, nur schlagen.
    »Yakoub«, sagte Loiza la Vakako ruhig. »Nein!«
    Die Stimme drang irgendwie in meine wahnsinnige Wut vor; es mag auch sein, dass der kräftige Arm stärker auf meine Luftröhre drückte.
    Ich gab plötzlich auf und stand schlaff da und stierte auf meine Füße. Es war zu Ende. Wir waren Gefangene, und Pulika Boshengro hatte Nabomba Zom erobert mit drei kreischenden Bogenstrichen auf seiner Fiedel. Eine ganze Welt war eingestürzt, und es hatte dabei nur ein Todesopfer gegeben.
    Der Mann musste insgeheim seit Jahren in sich hineingebrütet haben, über die vermeintliche Ungerechtigkeit der familiären Erbteilung gegrollt haben, die seinem Bruder Nabomba Zom zuteilte und ihn mit zwei kahlen, sturmgepeitschten Welten abspeiste. All diese Jahre hindurch hatte Pulika Boshengro Loyalität und Liebe geheuchelt und darauf gelauert, dass seine Zeit kommen möge. Einzig ein Bruder vermochte Loiza la Vakako zu stürzen, denn er war auf der Hut und gut bewacht, und es wäre selbst den Heerscharen des Reiches schwergefallen, Nabomba Zom zu erobern. Doch wer argwöhnt schon Hinterlist und Verrat, wenn er sich zu einem Fest zu Tische setzt? Und wer würde zwischen sich und einem Bruder bewaffnete Wachen aufstellen? Ganz gewiss kein Rom, werdet ihr vielleicht sagen, gewiss nicht einer, in dessen Adern das echte wahre Blut strömt. Für uns stehen die Familienbindungen über allem. Aber wir sind schließlich nicht alle ausgewachsene Heilige, nicht wahr? Und für Pulika Boshengro gab es nun einmal eine stärkere Kraft als Liebe zu seiner Familie.
    Das Böse war getan, und es ließ sich nicht wieder ungeschehen machen. Ungeachtet der Tatsache, dass Hunderte Menschen Zeugen waren, unter ihnen hohe Beamte des Imperiums und Richter und Senatoren von Nabomba Zom. Für das Imperium war es eine reine interne Angelegenheit, eine lokale Streiterei der Roma-Herrscher Nabomba Zoms untereinander; es bestand kein Grund zu intervenieren. Und die Richter und Senatoren waren nichts weiter als Vasallen; sie waren nicht irgendeiner kodifizierten Rechtsnorm verpflichtet, sondern auf den Fürsten ihrer Welt eingeschworen, und dies war Loiza la Vakako nicht länger, sondern eben – durch das Recht des Eroberers – Pulika Boshengro.
    Primitive Barbarei, gewiss. Doch tun wir gut daran, nicht zu vergessen, dass derlei sich sogar noch in unserer Ära der zauberischen Weisheit und Wunder ereignen kann. Wir leben zweihundert Jahre, anstatt nur sechzig, wir fliegen

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