Zigeunerstern: Roman (German Edition)
tanzend von Stern zu Stern wie Engel, wir stemmen ganze Planeten aus ihren Umlaufbahnen und lassen sie durch die Himmel wirbeln – aber trotzdem schleppen wir in unserem Innern immer noch den gleichen urzeitlichen Affen mit uns herum – und die Schlange der Urzeit ebenfalls. Wir leben gemäß Übereinkünften darüber, was zivilisiertes gesittetes Verhalten sei; doch Übereinkünfte bestehen auch nur aus Worten. Noch sind Habgier, Machtgier und andere niedere Leidenschaften aus unserem Genmaterial nicht ausgemendelt. Deshalb sind wir weiterhin den Instinkten und der Willkür der übelsten Angehörigen der menschlichen Rasse ausgeliefert. Und gerade deshalb müssen wir wachsam bleiben. Wie lautet das alte romansche Sprichwort: Nur in einem Dorf, das keinen Hund hat, kann ein Mensch ohne einen Prügel in der Hand sicher umhergehen.
Ich vermute, es wäre damals noch immer möglich gewesen, den Usurpator in die Knie zu zwingen und Loiza la Vakako wieder in seine Rechte einzusetzen, wäre nur irgendeiner bereit gewesen, die Führung der Gegenrevolte zu übernehmen. Schließlich hatte Pulika Boshengro aus seiner Heimat nicht mehr als eine Handvoll Männer mitgebracht. Und Loiza la Vakako galt als gütiger und weiser Herrscher, den alle liebten, wohingegen sich Pulika Boshengro gerade als ein Mann erwiesen hatte, den zu fürchten und dem zu misstrauen man allen Grund hatte.
Doch es gab eben keinen Aufstand der getreuen Vasallen … Nach dem anfänglichen Schock und der Bestürzung über die Ereignisse bei dem Festbankett und über den darauffolgenden Staatsstreich, lief das Leben für die Menschen auf Nabomba Zom, gleichgültig ob niederen oder hohen Ranges, weiter wie gewohnt. Die Familie des Loiza la Vakako befand sich in ›Schutzhaft‹ hieß es – was in der Überzeugung der breiten Öffentlichkeit durchaus bedeuten mochte, dass wir sämtlich schon getötet worden seien –, und im Palast saß ein neuer Herrscher. Ein Wechsel in der Regierung, mehr nicht. Ein paar Tage später fanden sich die Vasallen des Pulika Boshengro ein, zu Tausenden, und die Beute wurde aufgeteilt, und damit hatte es sich. Loiza la Vakako war aus seiner Herrlichkeit herabgestürzt; sein Reichtum und seine Pracht waren auf seinen Bruder übergegangen … und das Leben ging weiter. Und ich hatte mit einem Mal, in einem einzigen entsetzlichen Augenblick, die Frau, die ich liebte, und alle meine leuchtenden Zukunftserwartungen verloren.
Man hielt uns in Zellen hinter den Stallungen des Palastes gefangen, eingekerkert in stinkenden kleinen Kraftsphären, als wären wir Vieh, das auf den Schlachter wartet. Loiza la Vakako und ich teilten eine Zelle. Mir war klar, dass sie uns früher oder später umbringen würden, und so begann ich jedes Mal meine letzten Buß- und Sterbegebete zu sprechen, sobald ich draußen auch nur den Schatten eines Kerkerbeamten erblickte. Loiza la Vakako aber fürchtete sich überhaupt nicht. »Wenn er die Absicht gehabt hätte, uns umzubringen«, sagte er, als ich ihm wieder einmal, zum hundertsten Mal, wahrscheinlich, meine Ängste vorstammelte, »dann hätte er es sofort beim Fest getan. Nein, er will uns auf irgendeine andere Weise loswerden.«
Mein Vater wirkte vollkommen gelassen, voll Seelenruhe und Selbstsicherheit. Der Verlust seiner Herrschaft, seines Palasts, ja seiner ganzen Welt schien ihm gar nichts zu bedeuten. Ich wusste, dass die Ermordung seiner Tochter vor seinen Augen seine Seele versengt und zum Verdorren gebracht hatte, doch weigerte er sich, über ihren Tod auch nur ein Wort mit mir zu sprechen, und er gab auch kein Zeichen von Gram von sich.
»Wenn doch nur dein Bruder einen Augenblick später gehandelt hätte«, brach es schließlich aus mir heraus. »Wenn es ihr doch nur gelungen wäre wegzutauchen und uns eine Warnung zukommen zu lassen …«
Er aber sagte: »Nein! Es war unrecht von ihr, dass sie es versuchte.«
» Unrecht? Warum?«
»Weil es nie eine Warnung gegeben hat. Wäre es bestimmt gewesen, dass wir eine Warnung erhalten, wir hätten sie bekommen, und dann wäre dies alles nicht geschehen.«
»Aber darum geht es doch genau! Wenn sie davongekommen wäre, hätte sie alles verändern können!«
»Nichts kann jemals verändert werden«, sagte Loiza la Vakako.
Da hatte ich ihn wieder, diesen Fatalismus der Roma, dieses gelassene Hinnehmen des Gegebenen als einer Unabänderlichkeit, einer Notwendigkeit. Als stünde alles unauslöschlich im Buch der Zeit geschrieben, als dürften wir
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