Zipfelklatscher
Hinterschinkenumfang haben, sollte mal Fränzis und meine Silhouetten vergleichen.
»Hallo, Franziska! Das ist deine Schwester?«
»Ja, das ist meine Zwillingsschwester.«
Fränzis Chef ist ein immer lächelnder Mann mit einem amerikanischen Männermodel-Gesicht, mit Grübchen im Kinn und grauen Schläfen. Sein Blick gleitet, ohne innezuhalten, über mein Gesicht, wird an meinem Busen etwas langsamer, und bleibt dann unten herum hängen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihn meine alte lederne Umhängetasche so interessiert.
»Ich bin Fischerin«, sage ich, »auf der Fraueninsel«, als würde das irgendwie den Unterschied zwischen der dünnen und der dicken Zwillingsschwester erklären, und der Chef sagt auch tatsächlich: »Ach so, na dann Mahlzeit«, und stellt sich in den Paternoster nach oben. Fränzi sieht meinen Blick und haut mich dahin, wo mein Körper am rundesten ist.
»Jetzt stell dich nicht so an, du hast halt einfach einen Mordsarsch, und ich nicht. Na und?«
Ich kann tatsächlich ein und dieselbe Eigenschaft an jemandem gleichzeitig hassen und bewundern. Die Aufrichtigkeit meiner Zwillingsschwester zum Beispiel.
Am nächsten Morgen öffne ich die Augen, sehe Vorhänge mit einem indischen Muster und bin kurz verwirrt. Es dauert ein, zwei Sekunden, bis mir wieder einfällt, dass ich in Fränzis extrabreitem Balsaholzbett liege, und gleich danach meldet mir mein Kopf die unerledigten Angelegenheiten des gestrigen Tages: David. Hat er auf meine E-Mail geantwortet? Papa. Der muss um zehn in der Klinik abgeholt werden! Die Wohnung ist leer, Fränzi und Xaver im Verlag und in der Waldorfschule, und meine Schwester hat ihren Laptop anscheinend mit in die Arbeit genommen. Zum allerersten Mal überlege ich, ob ich nicht doch ein potenzieller Smartphonekunde wäre, dann könnte ich jetzt schnell E-Mails checken und wissen, ob es sich lohnt, noch einen Gedanken an eine heimliche Partynacht im »Schloss Seeblick« zu verschwenden. Ich ignoriere wie immer meine zerdatschten Locken, putze mir die Zähne mit Xavers Laserschwert-Zahnbürste, weil ich meine vergessen habe, mache mich auf den Weg zur U-Bahn und warte zehn Minuten später am Wettersteinplatz auf die Tram Richtung Krankenhaus. Es ist ein hellgrauer Tag, die Gegend um das Sechzger Stadion ist weder richtig schick noch richtig schäbig, irgendwie gesichtslos. Gebrauchte Handys, ein Bestattungsunternehmer, und dazwischen die Tegernseeer Landstraße. Und auf der anderen Straßenseite: ein Internetcafé!
»Nächste Abfahrt in 2 Minuten«, warnt mich die digitale Anzeige an der Haltestelle, aber ich renne trotzdem über die sechsspurige Straße. Eine dicke Frau mit Damenbart und dunklen Locken weist mir den Computer gleich am Eingang zu. Ich brauche nicht lange, um meine E-Mails zu sichten, ich habe nur eine neue Nachricht:
»Liebe Kati, die Party im Schloss Seeblick ist eine tolle Idee. Melde mich, wenn ich sicher bin, dass ich nicht im Hotel gebraucht werde. Alles Liebe, David.«
Er kommt mit! Was mache ich denn jetzt? Ruhe bewahren, ganz einfach Ruhe bewahren. Jetzt davor zurückzuschrecken, dass der Schweizer Streber plötzlich zum netten David mit Lausbubenqualitäten geworden ist, dazu ist es nun zu spät. War dieser Fleck blauen Himmels vorher schon da? Und dieser leichte Sommerwind, der aus der Innenstadt hochweht, und den die Tram mitbringt, in die ich in letzter Sekunde springe? München ist eine wunderbare Stadt, finde ich. Die Tatsache, dass der Neue aus dem Hotel plötzlich mein Party-Komplize ist, wir auf eine Sause vom Trachtenverein gehen, ich nicht weiß, was ich dafür anziehen soll und woher ich unauffällig Lederhosen für den David bekommen soll, versetzt mich in helle Aufregung. Das ist gut so, denn dann pikst mich die Sorge um den Papa nicht so sehr.
Das ändert sich schlagartig, als ich die Gestalten sehe, die in Filzlatschen und Morgenröcken vor der Klinik herumhängen. Neben diesen Patienten wirken die gelblichen Hydrokulturpalmen im Foyer wie üppiges Gewächs aus dem Regenwald. Ich versuche die Urinbeutelträger und Tropfschieber um die Infothek herum nicht allzu sehr zu beachten, und gehe lieber zu Fuß durch ein kahles Betontreppenhaus, als im Lift weiteren Zombies zu begegnen. Die Tür zur Inneren schließt sich hinter mir, und als ich mich suchend vor dem Stationszimmer umsehe, schießt sofort eine Schwester auf mich zu. »Sind Sie Frau Lochbichler? Kommen Sie, der Herr Professor wartet schon auf Sie.«
Hab ich’s
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