Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
das Wasser schauen konnte, die Sonne
und die anderen Gäste in seinem Rücken.
Vielleicht
hatte sie einen siebten Sinn. Schon in dem Moment, in dem ihm der Gedanke gekommen
war, verwarf er ihn wieder. Natürlich hatte sie keinen siebten Sinn, das
war albern. Dummes Zeug. Bullshit. Ohne es zu wollen, musste er grinsen, aber es
missriet und hing schief in seinem Gesicht. Wenn er nicht aufpasste, verlor er noch
seine Rationalität, die Schärfe seines Geistes, auf die er so stolz war. Er ließ
die Eiswürfel im Glas kreisen, und je länger er die Bewegung ausführte und auf das
klirrende Geräusch lauschte, das sie beim Aneinanderschlagen verursachten, desto
mehr entspannte er sich.
Mit halb
geschlossenen Lidern beobachtete er den Schwan, der vor ihm seine Bahnen zog. Ruhig
und majestätisch. So hatte er sich im Grunde genommen bis vor nicht allzu langer
Zeit selbst noch gefühlt. Doch die Souveränität, mit der er sein Leben bislang gemeistert
hatte, war verloren gegangen, und ihm blieb nichts als die Hoffnung, dass er sie
in nicht allzu ferner Zukunft wiedererlangen würde. Fest presste er die Lippen zusammen.
Er würde darum kämpfen, all das zu bewahren, was er aufgebaut hatte. Seine Ehe,
nun ja, sie war verkorkst, aber auf der beruflichen Karriereleiter hatte er es weit
gebracht. Es hatte ihn allerdings Jahre und viel Energie gekostet. Niemals würde
er zulassen, dass diese Maya-Frau sein Leben zerstörte. Sie musste verschwinden,
ausgelöscht werden wie Sabrina.
Erneut nahm
er einen Schluck von dem Averna, gleich darauf einen zweiten, und als sich sein
schlechtes Gewissen regte, sagte er sich, dass Kräuterschnaps die beste Medizin
für alles sei.
Sie hatte
Glück gehabt. Er fischte einen Eiswürfel aus dem Glas und ließ ihn langsam auf seiner
Zunge zergehen. Er würde es eben noch einmal versuchen, doch die Zeit wurde langsam
knapp, und das bereitete ihm Kopfzerbrechen. Wie konnte er ahnen, was sie als Nächstes
plante? Vielleicht würde sie sogar zur Polizei gehen …
Er stutzte
und dachte einen Moment nach. Warum hatte sie es bislang noch nicht getan?
Er korrigierte
den Sitz seiner Sonnenbrille, und plötzlich wusste er es. Sie hatte Angst vor der
Polizei. Dies war der Grund, warum sie sich jetzt versteckte.
Die Terrasse
füllte sich. Die meisten Menschen hatten ihre Einkäufe erledigt und die Wohnungen
auf Vordermann gebracht, und jetzt wurde es Zeit für einen kleinen Ausflug. Dennoch
war die Atmosphäre immer noch beschaulich genug, dass er es aushalten konnte. Alle,
die hierher kamen, schienen guter Laune zu sein, und er verspürte noch keinerlei
Fluchtinstinkt. Außerdem hätte er auch nicht gewusst, wohin er gehen sollte. Nach
Hause? Ausgeschlossen. Nichts zog ihn momentan dorthin.
Er bestellte
noch ein Getränk und die Rechnung gleich mit, und vorausschauend legte er für den
Kellner einen Geldschein auf den Tisch. Plötzlich erfasste ein überraschender Luftzug
den Schein und wirbelte ihn durch die Luft. Er flog in die Höhe, dann segelte er
verspielt über die Mauer.
Instinktiv
sprang er auf und rannte dem Geld hinterher. Mit beiden Händen griff er danach,
weit lehnte er sich über die Mauer und das Wasser. In diesem Moment erschrak der
Schwan, der unter ihm seine Runden zog, und reckte den Hals. Sie sahen sich an,
und plötzlich begann das Tier sich aufzuplustern.
Langsam
zog er die Arme zurück und blieb regungslos stehen, er veränderte nicht einmal die
Position seiner Beine. Doch er war jederzeit bereit, das Tier im Falle eines Angriffs
auf die glatte Fläche des Wassers zurückzuschleudern. Komm schon, komm ! dachte
er und ballte die Fäuste. Der Moment dauerte eine halbe Ewigkeit. Dann wandte der
Vogel seine perlschwarzen Augen ab, und als habe jemand einen Schalter umgelegt,
schüttelte er sich, senkte kurz darauf den Kopf, und nur einen Moment später legte
sich sein Gefieder. Zögernd zwar, langsam, doch nur wenige Sekunden später war er
wieder zum zahmen schönen Schwan geworden. Gelassen ließ er sich übers Wasser treiben.
Er hatte keine Eile, wollte nirgendwo hin.
Der Bann
war gebrochen. Stimmen drangen an sein Ohr. Menschen sprachen ihn an und begeisterten
sich dafür, wie er die Ruhe bewahrt hatte. Er spürte die Eiseskälte seiner Hände,
und je länger sie vor ihm standen und auf ihn einredeten, desto deutlicher merkte
er, dass die Aufmerksamkeit der Leute ihn bedrängte, sie nahm ihm den Atem, trieb
ihm den Schweiß auf die Stirn.
Hektisch
suchte er nach seinem
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