Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
vermutete, von seiner Grippe nicht mehr erholen und bald ins Gras
beißen oder den Löffel abgeben würde.
In der Tiefe
von Florians Regenmanteltasche klingelte sein Handy. An der Nummer erkannte er,
dass es Lisa war.
»Wartet
Ihr schon lange auf mich? Entschuldige, aber ich bin, ich musste ganz schnell …«,
sagte sie mit gehetzter Stimme.
»Wir fragen
uns, wo du steckst.« In Florians Ton klang ein Vorwurf mit, den er so nicht wollte.
»Tut mir
leid, ich musste rasch weg.«
»Das Wetter
ist nicht gerade so, dass man gern im Regen steht …« versuchte Florian das Brüske
seines vorherigen Tonfalls zu erklären.
»Sorry,
es kam alles so plötzlich. Ich bekam diesen Anruf von seinem Chef und bin sofort
losgedüst.«
»Ich verstehe
nicht, du bekamst einen Anruf von … was ist passiert?«
»Ich habe
Sam abgeholt. Sie haben ihn aus der Untersuchungshaft entlassen.«
»Was?«,
fragte Florian voller Erstaunen.
»Ja, gegen
Kaution. Sein Chef hat ihn da rausgeboxt, es gibt inzwischen genug entlastende Fakten,
sodass kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Wir sind in zehn Minuten da.«
Lisa fuhr Sams Mercedes in rasantem
Tempo vor. Der Motor war kaum ausgeschaltet, da öffneten sich auch schon die Türen.
Sam sah gealtert aus. Sein Gesicht war grau und eingefallen, tiefe Falten hatten
sich in die Haut gekerbt. Florian fiel auf, dass sein Haar spröde und ungewaschen
wirkte, strähnig klebte es an seinem Kopf. Dennoch war ihm dieses Erscheinungsbild
sympathischer, als wenn Sabrinas Mann Anzug und Krawatte trug. Mit dem Gestrauchelten,
der vor ihm stand, konnte er mehr anfangen als mit dem Anwalt, der die Nase oben
trug, nach After-Shave roch und in der Regel einen Packen Hundert-Euro-Scheine im
Portemonnaie stecken hatte, wie Florian vermutete.
Luz folgte
ihrem Vater auf dem Fuß. Den Blick hielt sie gesenkt, doch in dem Moment, in dem
sie den Kopf hob, um Florian und Jana zu grüßen, sah er die unverhohlene Freude
in ihrem Blick. Die Freude darüber, dass der Vater wieder zu Hause war.
Sam ging
ihnen allen voran, er war es, der die Haustür aufsperrte, und in der Geste lag eine
gewisse Würde, gepaart mit Stolz, was Florian seltsam berührte.
Als sie
im Haus waren, begann Luz zu hüpfen, auf und ab, und sie konnte gar nicht mehr aufhören
damit. Sie machte weite, hohe Sprünge, tanzte ihnen voran ins Wohnzimmer, und dann
ließ sie sich wie ein Gummiball neben ihren Vater auf das Sofa fallen, nur um sich
einen Moment später in einiger Entfernung von ihm brav hinzusetzen.
Lisa servierte
ihnen einen Sherry.
»War das
eine Tortur«, stöhnte Sam und ließ den Kopf rückwärts auf das Sofakissen fallen.
»Ich bin froh, dass ich endlich wieder draußen bin.«
Luz starrte
ihren Vater an. »Warum warst du im Gefängnis, Papa?«
Sam hob
den Kopf. »So genau weiß ich es auch nicht, Luz. Wenn du groß bist, später irgendwann,
werde ich versuchen, es dir zu erklären. Jetzt nicht. Einverstanden?«
Luz nickte,
aber überzeugt wirkte sie nicht.
»Sie sind
sicher müde«, sagte Jana mitfühlend, und Florian fügte hinzu: »Wir sind gleich verschwunden.
Eigentlich sind wir nur hier, um Jana und Lisa abzuholen und mit ihnen in den Zirkus
zu gehen. Habt ihr überhaupt noch Lust, mitzukommen?«
Sam und
Lisa tauschten einen Blick, und Sam sagte: »Ich bin froh, wenn ich ein bisschen
allein sein kann. Ihr erwartet doch nicht, dass ich euch begleite?«
»Selbstverständlich
nicht.« Seine Schwägerin schüttelte den Kopf.
»Darf ich
Sie etwas fragen?« Florian rutschte ein Stück auf dem Sessel vor und betrachtete
Sam, der einen großen Schluck Sherry nahm.
»Nur zu
…«
»Wie hat
Ihr Chef es geschafft, Sie da rauszuholen?«
»Er ist
ein guter Anwalt«, sagte Sam knapp und fügte hinzu: »Und er kannte die richtigen
Argumente.«
Sonnabend, 16. Juli, abends
Florian, Jana, Lisa und Luz hatten
Sabrinas Mann wunschgemäß schon bald allein zu Hause zurückgelassen und waren in
die Stadt gefahren, um mit Luz zunächst in einer Eisdiele einzukehren, wo sie mit
leuchtenden Augen ein riesiges Spaghetti-Eis verzehrte und anschließend noch einen
Schoko-Shake trank. Sie hatte zunächst zurückhaltend, dann aber zunehmend aufgeschlossen
auf Jana und Florian reagiert, sich in keiner Weise befremdet gezeigt oder etwa
eingeschüchtert. Sie befand sich, wie Jana Florian ins Ohr flüsterte, im Vergleich
zu ihrem Gespräch auf der Mauer vor der Roosevelt Schule geradezu in Plauderlaune.
Als sie
in der Eisdiele
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