Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
plane
und ließ sich Pressemeldungen über Roncalli , der in Köln sein Winterlager
hatte und beinahe jedes Jahr für ein paar Wochen auf dem Neumarkt seine Zelte aufschlug,
aushändigen. Die Pressefrau äußerte Bedenken, dass die Gasexplosion im Zentrum der
geplanten Sendung stehen würde, und Florian zog sämtliche Register, um sie vom Gegenteil
zu überzeugen. Er sagte, dass das Thema Zirkus in NRW kaleidoskopartig aufgemacht
werden würde, die Gasexplosion sei nur ein Randaspekt. Man würde grundsätzlich verschiedene
Zirkusse vorstellen und man würde auch der Frage nachgehen, wie und wo Zirkuskinder
unterrichtet werden.
Schließlich
erteilte sie ihr Einverständnis dafür, dass er am nächsten Tag mit den Künstlern
sprechen könne, auch wenn der Zeitpunkt wegen der Gasexplosion äußerst ungünstig
sei. »Aber bitte stören Sie die Arbeit der Kripo nicht, ich kann keinen zusätzlichen
Ärger gebrauchen«, bat sie eindringlich.
Florian
nickte und atmete tief durch. Er hatte erreicht, was er wollte.
Ein Blick
auf die Uhr zeigte ihm, dass die Vorstellung gleich beginnen würde, dennoch trieb
ihn seine Neugier in die Nähe der Stelle, an der es zur Explosion gekommen war.
Nicht zu dicht, dachte er und achtete instinktiv auf Abstand. In den Schatten eines
Baumes gelehnt, betrachtete er still den Unglücksort, den Platz, an dem die Spanierin
gestorben war. Das Absperrband war inzwischen längst entfernt worden, jetzt flackerten
dort Kerzen. Kollegen und Freunde hatten Schrifttafeln und Briefe in die Erde gesteckt
und Blumen niedergelegt. Florian senkte den Kopf und las die in großer Schrift verfassten
Botschaften: Pippa, du bleibst unvergessen; Dein Tod wird gesühnt; und: Wir wünschen dir Frieden.
Plötzlich
hörte er ein Geräusch, das ihn aus seinen Gedanken riss. Er reckte den Kopf, und
gleich darauf presste er sich mit angehaltenem Atem gegen den Stamm. An der Tür
eines der Wohnwagen machte sich jemand mit einer Brechstange zu schaffen.
Sonnabend, 16. Juli, abends
Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Das
Schaben irritierte sie. Ein fremder Ton, der nicht aufhörte, sondern immer eindringlicher
wurde. Was war das? Sie horchte, ihr Körper wurde stocksteif. Nur den Bruchteil
einer Sekunde später war sie sicher, dass sich jemand an der Tür zu schaffen machte.
Gedanken rasten durch ihren Kopf. Gino? Nein, er besaß einen Schlüssel. Wer dann?
Jemand vom Zirkus? Aber warum? Plötzlich spürte sie, wie die Angst die Luft um sie
herum verdichtete, wie sie ihre Klauen nach ihr ausstreckte. Sie war ein Ungeheuer,
das nach ihr griff, sie reißen und verschlingen wollte wie eine willkommene Beute.
Die Erkenntnis
traf sie wie ein Schlag. Da draußen war der Mann, der Pippa getötet hatte. Dele
hielt die Luft an. Er war wieder da. Er war gekommen, um sie zu töten, sie endlich
zu erwischen.
Wohin? Wo
konnte sie sich verstecken? Ihre Augen irrten in dem kleinen Wohnwagen umher. Im
Schrank? Welche Idiotie. Unterm Tisch? Im Bett? Das war genauso unsinnig, er würde
sie sofort entdecken.
Es wurde
lauter, jetzt ruckelte er an der Tür. Ihr Herz raste. Sie sprang von der Sitzbank
auf und zerrte mit zittrigen Händen einen Stuhl vor die Klinke und verklemmte die
Lehne damit. Ihr Atem ging laut und in Stößen. Er war ein hektisches Röcheln, das
sie erschreckte. Für einen Moment wurde ihr schwindlig. Schnell. Sie brauchte eine
Waffe. Ihre Augen irrten umher. Womit sich verteidigen?
Dele spürte,
wie kleine Schweißperlen von ihrer Oberlippe in die Mundwinkel rannen, sie schmeckte
das Salz. Ein Geschmack wie der salzige Fallwind des Xocomil, und sie fragte sich,
warum sie ausgerechnet jetzt an ihre Heimat dachte. Dele schmeckte nun auch das
Blut, das sich mit dem Salz der Winde vermischte. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen.
Er rumpelte
gegen die Tür, die sich bereits einen Spalt breit öffnete.
Sie brauchte
eine Waffe. Sie wirbelte herum und riss eine Schublade der Küchenzeile auf. Topflappen,
Gewürze. Die nächste Schublade. Besteck. Sie nahm eines der Messer heraus und ließ
die Klinge über die Kuppe ihres Daumens fahren, es war stumpf, unbrauchbar. Sie
riss eine weitere Schublade auf. Darin: Scheren, Kochlöffel. Ihr Blick fiel auf
ein großes Fleischmesser. So groß wie furchterregend. Mit fahrigen Fingern überprüfte
sie die Schärfe und schon zuckte sie zusammen. Rot und dick tropfte es auf den Linoleumboden.
Sie steckte den Finger in den Mund und saugte sich an ihrem Fleisch fest, als sei
es eine
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