Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

stumpf und unflexibel geworden waren, und dann
blitzte auf einmal eine zündende Idee wie ein Lichtstrahl auf und wies ihnen den
Weg.
    »Also noch
einmal«, setzte er an und ging zur Pinnwand hinüber. »Ich beginne mit der Rekonstruktion
des Tatablaufs, wie wir ihn anhand der Fußspuren herleiten können. So könnte es
sich zugetragen haben: Sabrina Delson und ihr Mörder streiten. Er wird handgreiflich,
sie versucht zu fliehen. Nach fünf Metern holt er sie ein, zieht die Waffe und schießt.
Nacheinander feuert er zwei Schüsse ab, die Lunge und Herz treffen. Als sie tot
am Boden liegt, greift er einen schweren Stein und zertrümmert in einem Anflug maßloser
Wut ihr Gesicht. Die Mordwaffe, eine Smith & Wesson, sowie der Stein sind bis
heute unauffindbar. Motiv: unklar.«
    Sylvia Gerlach
schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort: »Das Sperma in der Vagina von Sabrina
Delson stammt nach DNA-Abgleich nicht von ihrem Mann, was ihren Liebhaber, dessen
Identität uns nicht bekannt ist, in den engen Kreis der Verdächtigen bringt.«
    Die Kommissarin
steuerte ihren Schreibtisch an. Ein massiv auftretendes Hungergefühl verursachte
ihr eine leichte Übelkeit, was dazu führte, dass sie trotz aller Vorbehalte gegen
Süßigkeiten eine Tafel Schokolade aus der Schublade zog, die sie für den Notfall
hier deponiert hatte. Rasch steckte sie sich ein Stück in den Mund. »Trauben-Nuss«,
sagte sie und streckte ihrem Chef die Tafel hin: »Auch eins?«
    Rössner
schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Im Umkreis beider Leichenfundorte stellen wir
Schuhsohlenabdrücke mit identischem Profil der Größe 46 sicher. Die Tiefe der Abdrücke
lässt den Rückschluss zu, dass der Träger ein Gewicht von ca. 90 Kilogramm hat.«
Er hielt einen Moment inne. »Wir können davon ausgehen, dass sich ein und dieselbe
Person an beiden Tatorten aufgehalten hat. Es könnte Zufall sein oder auch nicht.
Möglicherweise wurden sowohl Sabrina Delson als auch Pippa Gonzales von derselben
Person getötet.«
    Sylvia Gerlach
nickte und sagte: »Kleiner Exkurs. Sam Delson trägt Schuhgröße 45, sein Gewicht
beträgt 84 Kilogramm. Als Pippa Gonzales durch eine Gasexplosion in ihrem Zirkuswagen
stirbt, befindet er sich in Untersuchungshaft. Er kann also nicht ihr Mörder sein.«
Sie hielt einen Moment inne, bevor sie weiter sprach. »Was den Mord an Sabrina Delson
betrifft, so bleibt immer noch ein Tatverdacht gegen ihren Mann bestehen, auch wenn
er ein neues Alibi vorweisen kann. Er ist als gewalttätig und extrem eifersüchtig
bekannt. Eine seiner Schusswaffen, eine Smith & Wesson, bleibt unauffindbar.
Wir wissen bis heute nicht, ob Sam Delsons Waffe die Mordwaffe ist.«
    Mit schmalen
Augen sah sie ihren Chef an. »Nun komme ich zu den Gründen, die dagegen sprechen,
dass beide Frauen von ein und demselben Täter getötet wurden.
    Fakt ist:
Beide Tötungsarten unterscheiden sich voneinander. Pippa Gonzales’ Körper, oder
das, was davon übrig blieb, weist keinerlei Anzeichen von Verletzungen oder Spuren
von Gewalteinwirkung auf«, erklärte sie, griff erneut zur Schokolade und biss schnell
eine Ecke ab. »Entschuldigung, ich muss das jetzt haben, ich breche sonst gleich
zusammen.« Nachdem sie ausgekaut und auch noch ein Glas Wasser hinuntergestürzt
hatte, fuhr sie fort: »Die Mitbewohnerin der Spanierin, Dele Sanchi, 28 Jahre alt,
Guatemaltekin aus Cobán, ist seit ihrem Tod spurlos verschwunden. Nach Auskunft
der Ausländerbehörde verfügt die Frau über keine Arbeitserlaubnis. Der Zirkusdirektor
behauptet jedoch, sie habe ihm eine entsprechende Genehmigung vorgelegt. Es besteht
der Verdacht der Urkundenfälschung.«
    Marko Rössner
schrieb den Namen Dele Sanchi unter den Namen Pippa Gonzales und fuhr fort: »Rückfragen
bei den zuständigen Behörden haben ergeben, dass Sanchi am 30. Mai aus Guatemala
City ausgereist und am 31. Mai in Frankfurt als Touristin in Deutschland eingereist
ist. Ein Rückflugdatum ist nicht bekannt. Von Frankfurt aus hat sie sich vermutlich
mit dem Zug nach Köln begeben, wo sie sich um 23 Uhr abends bei der Bahnhofsmission
meldete. Danach verwischt sich ihre Spur, was sie in dieser Zeit getan hat, wissen
wir nicht. Seit dem 18. Juni ist sie bei Roncalli als Allroundhilfe beschäftigt.
Der Zirkus, der in Köln zu Hause ist und sein Winterlager hier hat, gastiert ungewöhnlich
lange hier, bis zum 25. Juli, und so lange währt auch ihr befristeter Arbeitsvertrag.«
    Der Kriminalhauptkommissar
schrieb die Daten auf die Pinnwand