Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
war, dass alle diese Menschen unendlich viel Zeit zu haben schienen.
Schon am
Neumarkt gerieten sie in einen Stau.
»Auf den
Ringen ist es zurzeit noch schlimmer, seien Sie froh, dass wir nicht dort entlang
fahren müssen«, sagte der Fahrer, und wie zur Bestätigung seiner Worte empfahl eine
abgehackte Stimme aus dem Taxifunk Umwege. Florian überlegte einen Moment auszusteigen,
verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Von hier bis zur Südbrücke zu rennen, war
einfach zu weit. Das Display seines Handys zeigte 21:50 Uhr. Der Schweiß trat ihm
auf die Stirn.
Gino saß
verkrampft neben ihm, wortlos starrte er aus dem Fenster.
Endlich
ging es ein Stück weiter, langsam schoben sie sich voran. Im Taxi roch es nach fabrikneuem
Leder. In einem Anflug von Übelkeit merkte Florian, dass ihm Frischluft statt der
Klimaanlage lieber war. Er bat darum, das Fenster herunterkurbeln zu dürfen.
Der Taxifahrer
warf ihnen im Rückspiegel einen prüfenden Blick zu. Es war ihm anzumerken, dass
sie ihm suspekt waren, der kleine Südländer in seinem Glitzeranzug und Florian,
hypernervös. Endlich ging es voran, ruckend gab der Fahrer Gas. Der Wagen schoss
davon, auf die Südbrücke zu. Inzwischen war es 22:10 Uhr.
Florians
Blick glitt aus dem Wagenfenster suchend nach oben, und plötzlich erkannte er Dele.
Sie stand am Brückengeländer, und sie sprach mit einem Mann. Er erkannte auch ihn.
Es war der Typ von den Fotos, zweifelsfrei, und ihm war klar, dass es sich um Ron
Gayle handeln musste.
Niemand
sonst war dort oben. Florian und Gino beobachteten, wie der Typ sie an der Schulter
packte und ihr etwas in den Rücken bohrte, und Florian wusste sofort, dass es eine
Waffe war. Sein Herz setzte einen Moment aus. Sie wehrte sich, doch Gayle hielt
sie fest. Dann sagte er etwas, und plötzlich wurde Dele still. Sie senkte den Kopf,
und ihre Arme hingen widerstandslos herab. Dann sah sie den Mann an, kurz darauf
lockerte er seinen Griff, und sie begann, langsam auf das Geländer zu klettern.
Sie schien keine Chance zu haben etwas anderes zu tun, denn er dirigierte sie mit
der Waffe dorthin.
Gino hatte
in seiner Muttersprache zu beten begonnen.
Als das
Taxi endlich stoppte, rissen Florian und er die Türen auf und stürmten los. Ein
kurzes Stück am Rheinufer entlang, dann die Treppenstufen im Brückenpfeiler hoch.
Wie immer stank es da drin nach Urin. Florians keuchender Atem dröhnte ihm in den
Ohren, Schweiß tropfte in seine Augen. Gino war direkt hinter ihm. Endlich kamen
sie oben auf der Brücke an. Alles, was dann geschah, geschah wie in Zeitlupe. Wie
angewurzelt blieben sie stehen.
Dele balancierte
auf dem etwa 20 Meter hohen Brückengeländer, und sie breitete die Arme aus, als
seien es Flügel. Es schien, als sammle sie ihre Kräfte, um jeden Moment abzuheben.
Drei, vier Sekunden stand sie dort, bewegungslos wie eine Statue, in das silberne
Licht des Mondes getaucht. Unter ihr wirbelte der Strom. Hinter ihr stand der Mann,
noch immer hielt er den Revolver auf sie gerichtet.
In dem Moment,
in dem er sich umdrehte und ihm direkt in die Augen blickte, erwachte Florian aus
seiner Erstarrung und rannte los.
Voller Entsetzen
sah er die Hand, die sich auf ihren Rücken legte. Dann kam der Stoß, und kurz darauf
begann ihr Fall.
Sonntag, 24. Juli, früher Nachmittag
Sylvia Gerlach strich Florian kurz
über den Arm. Das Zittern hatte immer noch nicht aufgehört. Es kam in unregelmäßigen
Schüben, so als ob es ihn daran erinnern wollte, was er in der vergangenen Nacht
erlebt hatte.
»Ohne Sie
würde Dele Sanchi nicht mehr leben«, sagte Kriminalhauptkommissar Marko Rössner
und füllte Kaffee für ihn in einen Becher. »Sie brauchen etwas Warmes. Milch und
Zucker?«
»Milch bitte«,
antwortete Florian.
Rössner
gab einen Schuss von der hellen Flüssigkeit in den Becher, und Florian musste ob
der ungewohnten Fürsorge grinsen, was er jedoch zu verbergen suchte, indem er nach
unten blickte. Das heiße Getränk tat ihm gut. Er schlürfte kleine Schlucke.
»Ihre Lippen
sind immer noch etwas blau«, sagte Sylvia Gerlach und betrachtete ihn sorgenvoll.
Florian
nickte.
»Alles in
Ordnung?«, vergewisserte sich der Kriminalhauptkommissar.
»Bestens.«
Florian dachte an sein Gespräch mit Regine Liebermann vom Vormittag. Er hatte sie
über die Ereignisse der letzten Stunden informiert, woraufhin sie sofort mit dem
Unterhaltungschef des Senders gesprochen hatte, und jetzt stand es fest: Sie würden
am Dienstag mit dem Thema
Weitere Kostenlose Bücher