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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hängte er auch auf.
    Hätte der Anruf
Dr. Daruwalla nicht so aufgewühlt, wäre er vielleicht stolz auf seinen Scharfblick
als Drehbuchautor [253]  gewesen, denn er hatte Inspector Dhar am Telefon stets ähnlich
prägnant reden lassen, vor allem wenn sich ein Anrufbeantworter meldete. Aber dem
Drehbuchautor blieb gar keine Zeit, stolz auf seine zutreffende Charakterisierung
zu sein, weil er neugierig war, welches »andere Thema« Detective Patel mit ihm erörtern
und vor allem warum er Dhar nicht dabeihaben wollte. Gleichzeitig hatte Dr. Daruwalla
regelrecht Angst vor dem, was der Kommissar wahrscheinlich über das Verbrechen wußte.
    Gab es einen neuen
Anhaltspunkt für den Mord an Mr. Lal oder eine weitere, gegen Dhar gerichtete Drohung?
Oder waren dieses »andere Thema« die Morde an den Käfigmädchen – die echten Morde
an diesen Prostituierten, nicht die Filmversion?
    Doch dem Doktor
blieb keine Zeit, über die rätselhafte Andeutung nachzugrübeln, denn bei der nächsten
Nachricht holte ihn wieder einmal die Vergangenheit ein.
    Derselbe alte Schrecken – und
eine brandneue Drohung
    Es war
eine alte Nachricht – eine, die er seit zwanzig Jahren immer wieder hörte. Er hatte
diese Anrufe in Toronto und in Bombay erhalten, sowohl zu Hause als auch in der
Klinik. Er hatte versucht, sie zurückverfolgen zu lassen, aber ohne Erfolg, da sie
stets von öffentlichen Telefonzellen aus geführt wurden – aus Postämtern, Hotelhallen,
Flughäfen, Krankenhäusern. Und obwohl der Inhalt dieser Anrufe Farrokh inzwischen
recht vertraut war, nahm der Haß, der dahintersteckte, seine Aufmerksamkeit jedesmal
wieder voll und ganz in Anspruch.
    Die Stimme, grausam
und höhnisch, zitierte zunächst einmal den Ratschlag des alten Lowji für die freiwilligen
Helfer in der Katastrophenmedizin: »›…zuerst behandelt man große Amputationen und
schwere Verletzungen an Extremitäten‹«, begann die Stimme. Und dann unterbrach sie
sich und sagte: »Was [254]  ›Amputationen‹ angeht – der Kopf Ihres Vaters war ab, vollständig
ab! Ich habe ihn auf dem Beifahrersitz liegen sehen, bevor die Flammen das Auto
verschlungen haben. Und was ›schwere Verletzungen an Extremitäten‹ betrifft – seine
Hände konnten das Steuer nicht loslassen, obwohl seine Finger in Flammen standen!
Ich habe die verbrannten Härchen auf seinem Handrücken gesehen, bevor sich eine
Menschentraube bildete und ich mich davonschleichen mußte. Außerdem sagte Ihr Vater,
›Kopfverletzungen‹ solle man ›am besten Fachleuten überlassen‹ – für ›Kopfverletzungen‹
bin ich der Fachmann! Ich habe es getan.
Ich habe ihm den Kopf weggepustet. Ich habe ihn brennen sehen. Und ich sage Ihnen,
er hat es verdient. Ihre ganze Familie hat es verdient.«
    Es war immer wieder
dieselbe schreckliche Botschaft, doch obwohl Dr. Daruwalla sie seit zwanzig Jahren
hörte, ging sie ihm unvermindert an die Nieren. Zitternd saß er, wie schon hundertmal,
in seinem Schlafzimmer. Seine Schwester in London hatte nie solche Anrufe bekommen.
Wahrscheinlich blieb sie nur deshalb verschont, weil der Anrufer ihren Ehenamen
nicht kannte. Sein Bruder Jamshed hatte in Zürich dieselben Anrufe erhalten. Die
Anrufe bei beiden Brüdern waren auf mehreren Anrufbeantwortern und etlichen von
der Polizei sichergestellten Tonbändern aufgezeichnet. Einmal in Zürich hatten sich
die Brüder Daruwalla und ihre Frauen diese Aufzeichnungen x-mal angehört. Niemand
erkannte die Stimme des Anrufers, aber zu Farrokhs und Jamsheds Verwunderung waren
beide Frauen davon überzeugt, daß der Anrufer eine Frau war. Die Brüder hatten die
Stimme stets zweifelsfrei für die eines Mannes gehalten. Doch Julia und Josefine
beriefen sich, wie bei Schwestern üblich, hartnäckig auf die intuitive Richtigkeit
all dessen, worüber sie sich einig waren. Der Anrufer war eine Frau – da waren sie
ganz sicher.
    Die Diskussion in
Jamsheds und Josefines Wohnung ging [255]  noch immer hin und her, als John D. zum Abendessen
kam. Alle bestanden darauf, daß Inspector Dhar den Streit schlichten solle. Schließlich
hatte er als Schauspieler eine geschulte Stimme und ein ausgeprägtes Talent, die
Stimmen anderer zu analysieren und zu imitieren. John D. hörte sich die Aufnahme
nur einmal an.
    »Es ist ein Mann,
der sich Mühe gibt, wie eine Frau zu klingen«, sagte er.
    Dr. Daruwalla war
entrüstet – weniger über diese Ansicht, die er schlichtweg abwegig fand, sondern
über die empörende Autorität, mit der

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