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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Mrs. Dogar – im Vergleich zu der drallen Blondine in der Badewanne des
Hotel Bardez. Nach zwanzig Jahren war die Wirkung dessen, was Dr. Daruwalla dort
erlebt hatte, unvermindert, denn es hatte ihnverändert – mehr als alles andere in
seinem ganzen Leben; die alte Erinnerung blieb lebendig, ohne zu verblassen, obwohl
er nie nach Goa zurückgekehrt war. Alle anderen Küstenorte waren ihm wegen dieser
unangenehmen Assoziationen ebenfalls vergällt.
    Julia kannte diesen
Gesichtsausdruck ihres Mannes. Sie sah ihm an, wie weit weg er war, und sie wußte
genau, wo er in Gedanken weilte. Und obwohl sie John D. gern versichert hätte, daß
sich der Doktor bald zu ihnen gesellen würde, wäre es herzlos gewesen, ihren Mann
allein zu lassen; pflichtbewußt blieb sie neben ihm sitzen. Manchmal hätte sie ihm
gern klargemacht, daß ihn seine eigene Neugier in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Aber diese Anschuldigung wäre nicht ganz gerecht gewesen, und so hielt sie pflichtschuldig
den Mund. Ihre eigene Erinnerung war erstaunlich lebhaft, obwohl sie nicht von denselben [352]  Einzelheiten gequält wurde, die dem Doktor so zu schaffen machten. Sie sah ihn
noch immer vor sich auf dem Balkon des Hotel Bardez, unruhig und gelangweilt wie
ein kleiner Junge.
    »Wie lange badet
diese Hippiefrau eigentlich noch?« hatte der Doktor seine Frau gefragt.
    »Sie sah aus, als
könnte sie es brauchen, Liebchen«, hatte Julia gemeint. Da hatte Farrokh den Rucksack
der jungen Frau zu sich herangezogen und, da er oben nicht ganz zuging, hineingespitzt.
    »Ihre Sachen gehen
dich nichts an!« rügte ihn Julia.
    »Es ist nur ein
Buch«, sagte Farrokh und zog das Exemplar von Clea aus dem Rucksack, das obenauf lag.
»Ich wollte nur sehen, was sie liest.«
    »Tu es wieder hinein«,
sagte Julia.
    »Mach ich gleich«,
sagte der Doktor, las aber noch die gekennzeichnete Passage, den Absatz über das
»schattenspendende Violett« und »die samtene Kruste«, den ein Zollbeamter und zwei
Polizisten bereits so faszinierend gefunden hatten. »Sieht aus, als hätte sie Sinn
für Poesie«, sagte Dr. Daruwalla.
    »Es fällt mir schwer,
das zu glauben«, meinte Julia. »Tu es wieder hinein!«
    Doch als der Doktor
das Buch zurückstecken wollte, stand er vor einer neuen Schwierigkeit: Etwas war
im Weg.
    »Hör auf, in ihren
Sachen herumzuwühlen!« schimpfte Julia.
    »Das verdammte Buch
geht nicht rein«, verteidigte sich Farrokh. »Ich wühle nicht in ihren Sachen herum.«
Aus den Tiefen des Rucksacks stieg ein überwältigend muffiger Geruch, ein abgestandener
Dunst, der ihn einhüllte. Die Kleidungsstücke der Hippiefrau fühlten sich feucht
an. Als verheirateter Mann mit drei Töchtern reagierte Dr. Daruwalla besonders empfindlich
auf übermäßig viele schmutzige Unterhosen auf einmal, egal von welcher Frau sie
stammten. Ein zerrissener BH hing an seinem Handgelenk,
als er versuchte, die Hand wieder herauszuziehen, aber noch immer ließ sich das
Buch nicht flach oben auf den [353]  Rucksack legen; irgend etwas war im Weg. Aber was
zum Teufel? Im nächsten Augenblick hörte Julia ihren Mann nach Luft schnappen; dann
machte er einen Satz rückwärts, als hätte ihn ein Tier in die Hand gebissen.
    »Was ist denn los?«
rief sie.
    »Ich weiß es nicht!«
stöhnte der Doktor. Er taumelte ans Balkongeländer, wo er in die verschlungenen
Ranken der Kletterpflanze griff. Mehrere hellgelbe Finken ließen ihre Samenkörner
aus den Schnäbeln fallen und flogen erschrocken zwischen den Blüten auf, und aus
dem Laub neben des Doktors rechter Hand sprang ein Gecko. Er schlängelte sich in
dem Augenblick in die Öffnung eines Abflußrohrs, in dem sich Dr. Daruwalla über
den Balkon beugte und sich in den Hof darunter erbrach. Zum Glück saß dort niemand
beim Nachmittagstee. Nur ein bhangi des Hotels lag zusammengerollt im Schatten einer großen Topfpflanze und war dort
eingeschlafen. Das herunterklatschende Erbrochene ließ ihn unberührt.
    »Liebchen!« schrie
Julia.
    »Alles in Ordnung«,
sagte Farrokh. »Es ist nichts, wirklich, es ist nur… der Lunch.« Julia starrte auf
den Rucksack, als rechnete sie damit, daß unter dem Buch gleich etwas hervorkriechen
würde.
    »Was war das denn?
Was hast du gesehen?« fragte sie ihren Mann.
    »Ich bin nicht sicher«,
sagte Dr. Daruwalla, aber Julia verlor allmählich die Geduld.
    »Du weißt es nicht,
du bist nicht sicher, es ist nichts, wirklich… du mußtest dich nur übergeben!« fuhr
sie ihn an. Sie streckte die

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