Zirkuskind
Hand nach dem Rucksack aus. »Na gut, wenn du es mir
nicht sagst, schaue ich eben selbst nach.«
»Nein, bloß nicht!«
rief der Doktor.
»Dann sag es mir«,
sagte Julia.
»Ich habe einen
Penis gesehen«, sagte Farrokh. Nicht einmal [354] Julia fiel darauf eine Antwort ein.
»Ich meine, es kann kein echter Penis sein… ich meine nicht, daß es ein abgetrennter
Penis ist oder was derart Scheußliches.«
»Was meinst du denn
dann?« fragte Julia.
»Ich meine, es ist
ein sehr lebensechtes, sehr plastisches, sehr großes männliches Glied… ein riesengroßer
Schwanz samt Eiern!« sagte Dr. Daruwalla.
»Meinst du einen
Dildo?« fragte ihn Julia. Farrokh war schockiert, daß Julia das Wort überhaupt kannte;
er kannte es selbst kaum. Ein Kollege in Toronto, ebenfalls ein Chirurg, hatte in
seinem Klinikspind einen Packen Pornozeitschriften, und in einer davon hatte Dr.
Daruwalla zum erstenmal einen Dildo abgebildet gesehen. Die Anzeige war fast so
realistisch gewesen wie das erschreckende Ding im Rucksack der Hippiefrau.
»Ich glaube, es
ist ein Dildo, jawohl«, sagte Farrokh.
»Laß mich sehen«,
sagte Julia. Sie wollte an ihrem Mann vorbeischlüpfen, um an den Rucksack zu gelangen.
»Nein, Julia! Bitte!«
rief Farrokh.
»Du hast ihn gesehen,
ich will ihn auch sehen«, sagte Julia.
»Ich glaube nicht,
daß du das willst«, meinte der Doktor.
»Meine Güte, Farrokh«,
sagte Julia. Wie ein begossener Pudel trat er beiseite. Dann warf er einen nervösen
Blick auf die Badezimmertür, hinter der die imposante junge Frau noch immer badete.
»Beeil dich, Julia,
und bring ihre Sachen nicht durcheinander«, sagte Dr. Daruwalla.
»Schließlich waren
ihre Sachen nicht gerade ordentlich zusammengelegt – oh, lieber Himmel!«, sagte
Julia.
»Also, da ist er,
du hast ihn gesehen. Und jetzt geh weg!« sagte Dr. Daruwalla, den es etwas überraschte,
daß seine Frau nicht entsetzt zurückgewichen war.
»Läuft der mit Batterien?«
fragte Julia, die das Ding noch immer anschaute.
[355] »Batterien?«
rief Farrokh. »Um Himmels willen, Julia, bitte, geh weg da!« Die Vorstellung, daß
so ein Gerät batteriebetrieben sein könnte, verfolgte den Doktor zwanzig Jahre lang
in seinen Träumen. Und zweifellos machte diese Vorstellung die Wartezeit, bis die
junge Frau ihr Bad beendete, für ihn noch qualvoller.
Da Dr. Daruwalla
befürchtete, das ausgeflippte Mädchen könnte ertrunken sein, näherte er sich ängstlich
der Badezimmertür, hinter der er weder Geträller noch Geplätscher hörte; keinerlei
Badegeräusche waren auszumachen. Doch bevor der Doktor anklopfen konnte, wurde er
von den unheimlichen Fähigkeiten der badenden Hippiefrau überrascht. Offenbar spürte
sie, daß jemand in der Nähe war.
»Hallo, Sie da draußen«,
rief sie lakonisch. »Würden Sie mir meinen Rucksack bringen? Ich habe ihn vergessen.«
Dr. Daruwalla holte
den Rucksack. Im Verhältnis zu seiner Größe war er ungewöhnlich schwer. Vermutlich
voller Batterien. Vorsichtig öffnete Farrokh die Tür einen Spaltbreit – gerade so
weit, daß er die Hand mit dem Rucksack hineinschieben konnte. Dampf, erfüllt von
tausend widerstreitenden Gerüchen, hüllte ihn ein. Das Mädchen sagte: »Danke. Lassen
Sie ihn einfach fallen.« Der Doktor zog seine Hand zurück und schloß die Tür, während
er überlegte, woher das metallische Geräusch stammen mochte, mit dem der Rucksack
auf dem Boden aufgeschlagen war. Entweder eine Machete oder ein Maschinengewehr,
stellte er sich vor. Genau wollte er es lieber nicht wissen.
Julia hatte einen
stabilen Tisch auf dem Balkon aufgestellt und ein sauberes weißes Bettlaken darüber
gebreitet. Selbst am Spätnachmittag war das Licht für einen chirurgischen Eingriff
draußen besser als in den Zimmern. Dr. Daruwalla suchte seine Instrumente zusammen
und bereitete das Betäubungsmittel vor.
Unterdessen gelang
es Nancy im Bad, sich ihren Rucksack zu angeln, ohne aus der Badewanne zu steigen.
Sie kramte [356] irgendwelche Klamotten hervor, die wenigstens ein bißchen sauberer
waren als die, die sie angehabt hatte. Eigentlich ging es nur darum, eine Sorte
Schmutz gegen eine andere auszutauschen, aber sie wollte einen Büstenhalter, eine
langärmelige Baumwollbluse und eine lange Hose anziehen. Außerdem wollte sie den
Dildo waschen und ihn – falls sie genug Kraft hatte – aufschrauben, um nachzuzählen,
wieviel Geld noch übrig war. Es war ihr zuwider, das Ding anzufassen, aber es gelang
ihr, es aus dem
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