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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gegenüber bemerkt, er habe sich erstaunlich gut von
seinen alptraumhaften Erlebnissen in der Falkland Road erholt. (Farrokh fand, daß
der Missionar grauenhaft aussah.) Um zu verhindern, daß sich der Zwerg und der Missionar
weiter miteinander unterhielten, was, wie Dr. Daruwalla wußte, bei beiden nur Verwirrung
gestiftet hätte, nahm er Vinod beiseite und legte ihm nahe, er solle Dhar seinen
Willen lassen und »ihm auf keinen Fall widersprechen«, denn der Zwerg habe die richtige
Diagnose gestellt: Der Schauspieler hatte wirklich einen Hirnschaden erlitten, und
es sei eine heikle Aufgabe, dessen genaues Ausmaß festzustellen.
    »Müssen Sie ihn
denn auch entlausen?« hatte Vinod flüsternd [502]  gefragt. Damit spielte er auf den
gräßlichen Haarschnitt des Scholastikers an. Dr. Daruwalla hatte feierlich genickt
und gemeint, jawohl, zu dem Hirnschaden kämen auch noch Läuse.
    »Diese Prostituierten
sind wirklich dreckig!« hatte Vinod ausgerufen.
    Was für ein Morgen!
dachte Dr. Daruwalla. Endlich war er Vinod und Deepa losgeworden, indem er sie mit
Madhu zu Dr. Tata geschickt hatte. Freilich hatte er nicht damit gerechnet, daß
Tata Zwo sie so schnell zurückschicken würde. Farrokh blieb kaum Zeit, um sich Martin
Mills vom Hals zu schaffen. Er wollte den Scholastiker unbedingt aus dem Weg haben,
bevor Vinod und Deepa mit Madhu zurückkamen, denn so viel geballtem Optimismus war
er nicht gewachsen. Außerdem wollte Dr. Daruwalla einen Moment allein sein; schließlich
erwartete ihn der Kommissar im Kriminalkommissariat Crawford Market, wo er sich
die Fotos der ermordeten Prostituierten ansehen sollte. Doch bevor sich Farrokh
fortstehlen konnte, mußte er sich einen Auftrag für Martin Mills einfallen lassen.
Der Missionar brauchte eine Mission, und sei es nur für ein oder zwei Stunden.
    Noch eine Warnung
    Der Elefantenjunge
stellte ein Problem dar. Ganesh hatte sich im Klinikhof, der als Therapiegelände
diente und in dem zwischen den verkrüppelten Kindern auch viele operierte Patienten
ihre diversen physiotherapeutischen Übungen absolvierten, schlecht benommen. Er
hatte mehrere wehrlose Kinder mit falschem Vogeldreck bespritzt. Als Ranjit dem
frechen Kerl die Spritze wegnahm, biß Ganesh Dr. Daruwallas treu ergebenen Sekretär
in die Hand. Ranjit war beleidigt, weil ihn ein Bettler gebissen hatte; außerdem
fand er es unter seiner Würde, ungezogene Jungen wie den Elefantenjungen bändigen
zu müssen.
    [503]  Obwohl der Tag
gerade erst begonnen hatte, war Dr. Daruwalla bereits erschöpft. Trotzdem machte
er sich den Vorfall mit der gebissenen Hand rasch und gewitzt zunutze. Wenn Martin
Mills so überzeugt war, daß der Vogeldreckjunge in der Lage war, bei der täglichen
Arbeit im Zirkus mitzuhelfen, ließ er sich vielleicht dazu überreden, ein wenig
Verantwortung für den kleinen Bettler zu übernehmen. Wie sich herausstellte, war
Martin Mills ganz begierig darauf. Wahrscheinlich würde er sich die Verantwortung
für eine ganze Welt voller Krüppel aufladen, dachte Farrokh. Er übertrug Martin
Mills die Aufgabe, Ganesh ins Parsi General Hospital zu bringen, wo der Doktor den
verkrüppelten Betteljungen von dem Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Arzt Jeejeebhoy untersuchen
lassen wollte – von A - HNO -Jeejeebhoy, wie er allgemein genannt
wurde. Dr. Jeejeebhoy war auf solche in Indien seuchenartig auftretenden Augenkrankheiten
spezialisiert.
    Obwohl bei Ganesh
eine schleimige Absonderung vorhanden war und der Junge gesagt hatte, daß seine
Augenlider jeden Morgen verklebt waren, hatten die Augäpfel nicht die weiche Beschaffenheit,
die Dr. Daruwalla als das Endstadium oder als »weiße Augen« angesehen hätte; denn
dann ist die Hornhaut matt und undurchsichtig, und der Patient ist blind. Farrokh
hoffte, daß sich Ganeshs Augenkrankheit, welche auch immer, in einem frühen Stadium
befand. Vinod hatte nämlich zugegeben, daß der Zirkus keinen Jungen aufnehmen würde,
der am Erblinden war – nicht einmal der Great Blue Nile.
    Doch bevor Farrokh
den Elefantenjungen und den Jesuiten in das nahe gelegene Parsi General Hospital
schicken konnte, kam Martin Mills spontan einer Frau im Wartezimmer zu Hilfe, die
ein verkrüppeltes Kind hatte. Der Missionar war vor ihr auf die Knie gefallen, was
Farrokh als irritierende Angewohnheit bei ihm empfand. Der Frau machte er angst,
zumal sie gar keine Hilfe brauchte. Sie blutete nämlich keineswegs aus dem Mund, [504]  wie der Scholastiker erklärt hatte, sondern

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