Zirkuskind
Chowpatty Beach Bildung
vermitteln!
Während der Doktor
Spekulationen dieser Art anstellte und sich mit der Untersuchung seiner restlichen
Patienten beeilte, kehrten Vinod und Deepa mit Madhu und dem Tetracyclin zurück.
Bevor sich Farrokh auf die Polizeiwache davonstehlen konnte, fühlte er sich verpflichtet,
Mr. Garg eine Falle zu stellen. Der Doktor trug Deepa auf, Garg mitzuteilen, daß
Madhu wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt würde; das klang ausreichend vage.
Falls Mr. Garg mit dem Mädchen herumgemacht hatte, würde er Dr. Daruwalla anrufen
müssen, um herauszufinden, um welche Krankheit es sich handelte und wie man sie
behandeln mußte.
»Und sag ihm, daß
wir einen Test machen, um festzustellen, ob sie HIV -positiv ist«, sagte Farrokh. Das
sollte genügen, damit sich der Mistkerl windet, dachte Dr. Daruwalla.
Es war ihm wichtig,
daß Deepa und Vinod begriffen, daß Madhu vom Wetness Cabaret und von Garg ferngehalten
werden mußte. Der Zwerg würde seine Frau zum Bahnhof fahren, weil Deepa zum Great
Blue Nile zurückkehren mußte, aber er durfte Madhu nicht aus den Augen lassen.
»Und denk dran,
daß sie ansteckend ist, solange sie nicht lang genug Tetracyclin genommen hat«,
erklärte er Vinod.
[507] »Ich denk dran«,
sagte Vinod.
Dann erkundigte
sich der Zwerg nach Dhar. Wo war er? Ging es ihm gut? Brauchte er nicht vielleicht
seinen getreuen Chauffeur? Dr. Daruwalla versuchte Vinod klarzumachen, daß Dhar
an dem weitverbreiteten posttraumatischen Wahn litt, ein anderer zu sein.
»Wer ist er denn?«
wollte der Zwerg wissen.
»Ein Jesuit und
Missionar, der sich in der Ausbildung zum Priester befindet«, antwortete der Doktor.
Vinod stand diesem
Wahn sofort verständnisvoll gegenüber. Demnach hatte der Schauspieler also einen
noch schlimmeren Hirnschaden erlitten, als der Zwerg anfangs befürchtet hatte! Im
Umgang mit Dhar, erklärte der Doktor, müsse man jetzt damit rechnen, daß er im Augenblick
eine Person war und im nächsten Augenblick eine andere. Feierlich nickte der Zwerg
mit seinem großen Kopf.
Dann gab Deepa dem
Doktor einen Abschiedskuß. Ihre Lippen hatten stets die pappige Süße dieser Zitronenbonbons,
die sie so gern mochte. Jeder Körperkontakt mit der Frau des Zwergs ließ Dr. Daruwalla
erröten.
Farrokh spürte,
daß er rot wurde, aber er wußte nie, ob man ihm das auch ansah. Für einen Parsen
war er dunkelhäutig, obwohl er im Vergleich zu vielen anderen Indern – mit Sicherheit
etwa zu Goanern oder Südindern – hellhäutig war. Natürlich war ihm bewußt, daß er
in Kanada normalerweise als »farbig« empfunden wurde, doch wenn er errötete, wußte
er nie, ob man das sah oder nicht. Aber natürlich teilte sich seine Verlegenheit
durch andere, von der Hautfarbe unabhängige Anzeichen mit, von denen er keine Ahnung
hatte. So wandte er zum Beispiel im Anschluß an Deepas Kuß den Blick ab, während
sein Mund leicht geöffnet blieb, als hätte er vergessen, was er gerade sagen wollte.
Folglich fühlte er sich um so mehr überrumpelt, als nun auch Madhu ihn küßte.
[508] Er hätte gern
geglaubt, daß das Mädchen es der Frau des Zwergs nur nachmachte, aber ihr Kuß war
zu feucht und durchtrieben – Deepa hatte ihm ihre Zunge nicht in den Mund geschoben.
Madhus erfahrene Zunge jedoch tastete sich zielstrebig vor. Ihr Atem duftete nach
einem geheimnisvollen Gewürz – Kardamom vielleicht oder Gewürznelke, jedenfalls
nicht nach Zitronenbonbons. Als Madhu zurücktrat, lächelte sie ihn zum erstenmal
an, und Dr. Daruwalla sah, daß ihre Zähne am Zahnfleisch blutrot gerändert waren.
Er war kaum überrascht, eher enttäuscht, als ihm klar wurde, daß die Kindprostituierte
eine alte Betelpriemerin war. Aber vermutlich war diese paan -Sucht noch Madhus geringstes Problem.
Eine Unterredung im Kriminalkommissariat
Im Anschluß
an die unangemessen lüsterne Begegnung mit Madhu war Dr. Daruwalla nicht in der
Stimmung, die fotografischen Belege für Rahuls künstlerische Leistung auf den Bäuchen
der ermordeten Huren nachsichtig zu beurteilen. Weder hatte die Zeichnung, die der
Doktor vor zwanzig Jahren auf Beths Bauch gesehen hatte, eine thematische Erweiterung
erfahren, noch hatte sich der Künstler in den dazwischenliegenden Jahren irgendeine
erkennbare stilistische Finesse angeeignet. Der unverändert fröhliche Elefant zwinkerte
mit einem Auge und hob den Stoßzahn auf der anderen Seite. Das Wasser aus dem Elefantenrüssel
besprühte weiterhin das
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