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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Tür hinauszutreiben, und
gelegentlich huschten die Schatten vorbeifliegender, gabelschwänziger Falken über
seinen Schreibtisch. Das eine offene Auge des auf dem Fotostapel oben liegenden
Elefanten schien all diese Dinge zu bemerken, die der Doktor nie mehr vergessen
würde. Das wußte er genau.
    »Heute mittag?«
schlug der Polizeibeamte vor.
    »Morgen würde mir
besser passen«, sagte Dr. Daruwalla. Daß er Martin Mills bei den Jesuiten in St.
Ignatius abliefern mußte, war ihm ein willkommener Vorwand. Außerdem mußte er mit
Julia reden und brauchte etwas Zeit, um Dhar Bescheid zu sagen, denn Dhar sollte
beim Lunch mit dem verletzten Hippiemädchen von damals dabeisein. Farrokh wußte,
daß John D. ein hervorragendes Gedächtnis hatte. Vielleicht erinnerte er sich sogar
an Rahul.
    »Also morgen, einverstanden«,
sagte der Kommissar, aber man merkte ihm die Enttäuschung an. Die Worte, mit denen
seine Frau Rahul beschrieben hatte, gingen ihm ständig im Kopf herum. Auch Rahuls
ungewöhnlich große Hände, die die großen Brüste seiner Frau gehalten hatten, beschäftigten
ihn; desgleichen Rahuls feste, wohlgeformte Brüste, die Nancy in ihrem [514]  Rücken
gespürt hatte; und der jungenhaft kleine, seidige Penis, den sie am Gesäß gespürt
hatte. Nancy hatte gesagt, er habe sich herablassend verhalten, spöttisch, neckisch
– auf alle Fälle subtil, wahrscheinlich grausam.
    Dr. Daruwalla war
erst ganz am Anfang seines mühseligen schriftlichen Berichts über Rahul, doch der
Polizeibeamte funkte ihm dauernd dazwischen. »Wenn Sie Rahul mit einem Wort charakterisieren
müßten«, bat er den Doktor, »welches Wort fiele Ihnen da spontan ein… ich bin nur
neugierig«, sagte der Detective.
    »Arrogant«, antwortete
der Doktor. Man konnte Detective Patel ansehen, daß ihn das, nach zwanzig langen
Jahren, nicht befriedigte.
    »Bitte versuchen
Sie es nochmals«, sagte der Detective.
    »Überlegen«, sagte
Dr. Daruwalla.
    »Sie kommen der
Sache schon näher«, meinte Patel.
    »Rahul führt uns
alle an der Nase herum«, erklärte Farrokh. »Er ist arrogant, maliziös, und seine
Kultiviertheit ist reine Berechnung. Wie seine verstorbene Tante setzt er Kultiviertheit
als Waffe ein. Ich glaube, daß er im Grunde genommen ein grausamer Mensch ist«,
sagte der Doktor und hielt in seiner Beschreibung inne, weil der Detective mit geschlossenen
Augen lächelnd an seinem Schreibtisch saß. Während der ganzen Zeit ließ Kommissar
Patel seine Finger sprechen, als schriebe er einen weiteren Bericht, doch die Finger
klopften nicht auf die Tasten seiner Schreibmaschine. Er hatte die Fotos wieder
ausgebreitet – sie bedeckten den ganzen Schreibtisch – und tippte auf die vielen
Köpfe der spöttischen Elefanten, tastete nach den Nabeln der ermordeten Prostituierten,
nach all diesen ununterbrochen zwinkernden Augen.
    Weiter hinten auf
dem Balkon schrie ein Mann aus dem Büro eines anderen Polizeibeamten, er würde die
Wahrheit sagen, während ihm ein Polizist gelassen mit der beinahe harmonisch [515]  klingenden
Wiederholung des Wortes »Lügen« widersprach. Aus dem Zwinger im Hof drang das laute
Gebell der angriffslustigen Polizeihunde herauf.
    Nachdem Dr. Daruwalla
seinen schriftlichen Bericht über Rahul fertiggestellt hatte, schlenderte er auf
den Balkon hinaus, um einen Blick auf die Hunde zu werfen, die sich müde gebellt
hatten. Die Vormittagssonne knallte auf den Hof hinunter. Die Polizeihunde, lauter
Dobermänner, schliefen in der einzigen schattigen Ecke ihres Zwingers; ein paar
Paternosterbäume verstellten Farrokh den Blick auf sie. Doch oben auf dem Balkon
befand sich ein kleiner, mit Zeitungen ausgelegter Käfig, vor den sich der Doktor
hinkniete, um mit einem Welpen, einer Mischung aus Dobermann und Pinscher, zu spielen.
Der Welpe jaulte und wand sich, um Farrokh auf sich aufmerksam zu machen. Er schob
seine glänzend schwarze Schnauze durch ein Quadrat des Drahtgitters, leckte dem
Doktor die Hand ab und schnappte mit seinen nadelscharfen Zähnen nach dessen Fingern.
    »Na, bist du ein
braver Hund?« fragte Farrokh den Welpen, dessen wilde Augen ringsum die für Dobermänner
typische rostbraune Zeichnung hatten. Die Bombayer Polizei bevorzugte diese Hunderasse,
weil das kurze Fell für das heiße Klima gut geeignet war. Die Hunde waren groß,
kräftig und schnell; sie hatten das Gebiß und die Zähigkeit eines Terriers, waren
allerdings nicht ganz so intelligent wie Schäferhunde.
    Ein jüngerer,

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