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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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diensteifriger
Unterinspektor kam aus einem Büro, in dem mindestens drei Schreibmaschinen klapperten,
eilte auf Dr. Daruwalla zu und begann heftig auf ihn einzureden. Sinngemäß sagte
er, man dürfe einen Dobermannwelpen nicht »verwöhnen«, weil er sich sonst nicht
mehr für den Polizeidienst ausbilden ließe, und überhaupt dürfe man zukünftige Polizeihunde
nicht wie Schoßhunde behandeln. Wann immer jemand so unerwartet Hindi mit dem Doktor
sprach, erstarrte dieser, weil er die Sprache nicht fließend beherrschte.
    [516]  »Tut mir leid«,
sagte Dr. Daruwalla auf englisch.
    »Nein, Ihnen braucht
es nicht leid zu tun!« schrie plötzlich jemand. Es war Kommissar Patel, der, mit
beiden Händen Farrokhs geschriebene Aussage umklammernd, aus seinem Büro auf den
Balkon gestürzt war. »Machen Sie ruhig weiter! Spielen Sie mit dem Welpen, soviel
Sie wollen!« rief der Kommissar.
    Der junge Polizeibeamte
bemerkte seinen Irrtum und entschuldigte sich rasch bei Dr. Daruwalla. »Tut mir
leid, Sir«, sagte er. Doch bevor er sich in sein Büro und zu dem schützenden Getöse
der Schreibmaschinen zurückziehen konnte, wurde auch er noch von Detective Patel
angeblafft.
    »Ihnen sollte es
leid tun, daß Sie mit meinem Zeugen sprechen!« brüllte der Kommissar.
    Demnach bin ich
ein »Zeuge«, stellte Farrokh fest. Er hatte ein kleines Vermögen damit verdient,
daß er sich über die Polizei lustig gemacht hatte. Jetzt wußte er, daß er nicht
einmal von so banalen Dingen wie der Hackordnung unter Polizisten die geringste
Ahnung hatte.
    »Machen Sie ruhig
weiter! Spielen Sie mit dem Welpen!« wiederholte Patel, und Farrokh wandte seine
Aufmerksamkeit wieder dem Dobermann zu. Da der kleine Hund gerade einen erstaunlich
großen Haufen auf den mit Zeitungen ausgelegten Käfigboden gemacht hatte, nahm dieser
Haufen Dr. Daruwallas Aufmerksamkeit vorübergehend in Anspruch. Und da sah er, daß
es sich bei der Zeitung um die heutige Ausgabe der ›Times of India‹ handelte und
der Haufen des Dobermanns auf eine Kritik von Inspector Dhar und die Türme des
Schweigens gefallen
war. Es war ein Verriß mit einem ausgesprochen säuerlichen Grundtenor, den der Gestank
der Hundescheiße noch zu verschärfen schien.
    Der Haufen sorgte
dafür, daß Farrokh lediglich einen kleinen Teil der Kritik lesen konnte, was nur
gut war, weil er sich schon genug ärgerte. Zu allem Überfluß enthielt sie auch noch
einen unnötigen Seitenhieb auf Dhars deutlich sichtbares [517]  Figurproblem. Der Kritiker
stellte fest, Inspector Dhars Bierbauch würde zu weit vorstehen, um die Behauptung
des Filmstudios zu rechtfertigen, er sei der Charles Bronson von Bombay.
    Deutliches Papiergeraschel
verriet Dr. Daruwalla, daß der Kommissar seine Aussage zu Ende gelesen hatte. Patel
stand dicht genug beim Käfig, um zu erkennen, was Farrokh gelesen hatte. Er hatte
die Zeitung selbst dorthin gelegt.
    »Ich fürchte, das
ist keine besonders gute Kritik«, bemerkte der Kommissar.
    »Das sind sie nie«,
sagte Dr. Daruwalla und folgte Patel nach drinnen in sein Büro. Er merkte, daß der
Polizeibeamte über seinen schriftlichen Bericht keineswegs erfreut war.
    »Setzen Sie sich«,
sagte Detective Patel, doch als der Doktor auf den Stuhl zusteuerte, auf dem er
zuvor gesessen hatte, packte ihn der Detective am Arm und dirigierte ihn hinter
den Schreibtisch. »Nein, nein, setzen Sie sich da hin, wo ich normalerweise sitze!«
Und so nahm Farrokh auf dem Stuhl des Kommissars Platz. Er war höher als der Besucherstuhl.
Die Fotos der ermordeten Prostituierten waren besser zu sehen, oder schwerer zu
übersehen. Der Doktor mußte an jenen Tag an der Chowpatty Beach denken, an dem der
kleine John D. solche Angst vor der versammelten Festgemeinde gehabt hatte und vor
all den Elefantenköpfen, die ins Meer getragen wurden. »Sie ertränken die Elefanten«,
hatte das Kind geschrien. »Da werden die Elefanten aber böse sein!«
    In seinem schriftlichen
Bericht hatte Farrokh die Ansicht geäußert, daß die haßerfüllten Telefonanrufe,
die den Mord an seinem Vater betrafen, von Rahul stammten. Schließlich war es die
Stimme einer Frau, die sich Mühe gab, wie ein Mann zu klingen, und dies könnte der
wie auch immer gearteten Stimme entsprechen, die Rahul inzwischen hatte. Vor zwanzig
Jahren war Rahuls Stimme noch unfertig gewesen; sie war noch nicht geschlechtsspezifisch
entwickelt. Doch obwohl Detective Patel diese Spekulation interessant fand, irritierte
ihn Dr. Daruwallas

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