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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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bedauerte
er, daß die sexuelle Vorliebe seiner Mutter für junge Frauen nur vorübergehend angehalten
hatte, denn ihr Appetit auf junge Männer war ungleich ekelhafter. Jedenfalls hatte
Martin sein Schlafzimmer in diesem Haus am Franklin Canyon Drive hübscher gefunden
als alle anderen. Es war ein Eckzimmer mit ausreichend natürlicher Luftzufuhr, so
daß er nachts ohne Klimaanlage schlafen konnte. Deshalb hörte er auch, wie das Auto
im Swimmingpool versank – erst das Platschen, dann die blubbernden Luftblasen. Aber
er war nicht aufgestanden, um nachzusehen, weil er angenommen hatte, daß sein betrunkener
Vater in den Pool gefallen war. Aufgrund der Geräusche hatte Martin geglaubt, Danny
würde mit einem runden Dutzend Betrunkener da draußen herumhüpfen, die, wie es sich
anhörte, unter Wasser rülpsten und furzten. Daß ein Auto mit im Spiel war, konnte
er nicht ahnen.
    Als Martin (wie
immer) früh am Morgen aufstand, war er nicht sonderlich überrascht, als er aus dem
Fenster blickte und am tiefen Ende des Schwimmbeckens den Wagen sah. Erst allmählich
kam ihm der Gedanke, daß sein Vater womöglich darin festsaß. Nackt und schreiend
lief er die Treppe hinunter zum Swimmingpool, wo er das nackte Dienstmädchen entdeckte,
das [557]  um ein Haar unter dem Sprungbrett ertrunken wäre. Es würde Martin nie als
Verdienst angerechnet werden, sie gerettet zu haben. Er schnappte sich die lange
Stange mit dem Netz am Ende, die dazu diente, Frösche und Salamander aus dem Wasser
zu fischen, und schob sie der braunhäutigen, verzweifelten Frau mexikanischer Herkunft
hin, die weder sprechen konnte (weil ihr Kiefer gebrochen war), noch sich aus dem
Pool herausstemmen (weil ihr Schlüsselbein ebenfalls gebrochen war). Sie hielt sich
an der Stange fest, während Martin sie an den Beckenrand zog, wo sie sich festklammerte.
Flehentlich blickte sie zu Martin Mills hinauf, der seine Genitalien mit den Händen
bedeckte. Aus den Tiefen des Pools schickte der versunkene Wagen noch eine Luftblase
empor.
    In dem Augenblick
trat Martins Mutter aus dem Bungalow des Dienstmädchens, der sich neben der Badehütte
befand. Vera, in ein Handtuch gewickelt, sah ihren Sohn Martin nackt am tiefen Ende
des Beckens stehen, ohne jedoch ihre zappelnde Geliebte von der vergangenen Nacht
zu bemerken.
    »Martin, du weißt,
was ich vom Nacktbaden halte«, schalt sie den Jungen. »Geh und zieh deine Badehose
an, bevor Maria dich sieht.«
    Maria badete freilich
auch nackt.
    Während Martin Mills
sich anzog, wurde ihm schlagartig ein Grund für seine Abneigung gegen fremde Schlafzimmer
klar: Fremde Sachen lagen in den Schubladen – bestenfalls die untersten Schubladen
waren für Martin leergeräumt worden –, und fremde Kleider hingen leblos, aber platzgreifend
in den Schränken. Fremde Spielsachen füllten eine Truhe, fremde Kinderfotos hingen
an den Wänden. Gelegentlich standen fremde Tennispokale oder Reittrophäen auf einem
Bord. Oft gab es eine Gedenknische für das erste Lieblingstier dieser fremden Kinder,
einen verstorbenen Hund oder eine Katze, wie sich häufig anhand eines Schraubglases,
das einen Hundezehennagel oder ein [558]  Haarbüschel von einem Katzenschwanz enthielt,
erkennen ließ. Und wenn Martin seine eigenen kleinen Siegestrophäen von der Schule
»nach Hause« brachte – glänzende Noten oder andere Belege für seine gestraffte Erziehung –, durfte er diese nicht an den fremden Wänden ausstellen.
    Später, in Los Angeles,
wohnten sie in dem praktisch ungenutzten Haus eines Schauspielers in der South Lorraine
Street – einem riesigen, großzügig geschnittenen Herrenhaus mit vielen kleinen,
muffigen Schlafzimmern, in denen überall unscharfe, vergrößerte Fotos von fremden
Kindern in auffallend einheitlichem Alter hingen. Martin kam es vor, als wären sämtliche
Kinder, die dort aufgewachsen waren, mit sechs oder acht Jahren gestorben oder für
den Fotografen uninteressant geworden. Dabei hatte es schlicht und einfach eine
Scheidung gegeben. In diesem Haus war die Zeit stehengeblieben – Martin fand es
dort fürchterlich –, und Danny hatte die Gastfreundschaft schließlich überstrapaziert,
als er mit der Zigarette in der Hand auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen
war. Der Rauchalarm weckte ihn auf, aber da er betrunken war, rief er anstelle der
Feuerwehr die Polizei an, und bis das Durcheinander geklärt war, hatten die Flammen
das ganze Wohnzimmer verzehrt. Danny nahm Martin mit in den Swimmingpool, wo

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