Zirkuskind
sie (sofern äußerliche anatomische Gegebenheiten
der Maßstab dafür sind, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist) – ging durch die
Eingangshalle in die Männertoilette. Sie wußte, daß dort niemand sein konnte, denn
die Angestellten durften sie nicht [625] benutzen – mit Ausnahme von Mr. Sethna, der
es derart mißbilligte, mit dem übrigen Personal zu pinkeln, daß er unangefochten
die Räumlichkeiten benutzte, die »Nur für Mitglieder« ausgewiesen waren. Schließlich
trug der alte Butler mehr Verantwortung für den Duckworth Club als irgendein Mitglied.
Aber Mrs. Dogar wußte, daß Mr. Sethna damit beschäftigt war, ihr ein Taxi zu rufen.
Mrs. Dogar bedauerte
es keineswegs, jetzt, nachdem sie eine Frau war, nicht mehr die Männertoilette im
Duckworth Club aufsuchen zu können. Das Dekor gefiel ihr ohnehin nicht so gut wie
das in der Damentoilette – sie fand das Tigerjagdmotiv auf der Tapete in der Männertoilette
brutal und blöd.
Sie ging an den
Urinbecken, den Toilettenkabinen und den Rasierbecken vorbei in den unbeleuchteten
Umkleideraum, der an das Clubhaus und die Bar angrenzte. Alle diese Räumlichkeiten
wurden abends nie benutzt, und Mrs. Dogar wollte sicherstellen, daß sie sich im
Dunkeln dort zurechtfand. Die großen Milchglasfenster ließen das Mondlicht herein,
das von den Tennisplätzen und dem Swimmingpool zurückgeworfen wurde, der derzeit
ausgebessert wurde und daher nicht in Betrieb war. Im Augenblick war das leere,
mit Zement ausgekleidete Loch am tiefen Ende mit Bauschutt angefüllt, und die Clubmitglieder
schlossen bereits Wetten ab, daß der Pool in den kommenden heißen Monaten nicht
benutzbar sein würde.
Das Mondlicht war
hell genug, um die rückwärtige Tür zum Clubhaus aufzusperren. Rahul fand den richtigen
Schlüssel in weniger als einer Minute – dann schloß sie die Tür wieder ab. Es war
nur ein Probelauf. Sie fand auch Mr. Dogars Spind und schloß ihn mit dem kleinsten
und daher leicht zu ertastenden Schlüssel am Schlüsselbund ihres Mannes auf und
wieder zu. All das probierte sie blind, obwohl im Mondlicht das meiste deutlich
zu erkennen war – der Mond schien schließlich nicht jede Nacht.
Auch die ehrwürdige
Sammlung alter Golfschläger an der [626] Wand war gut zu erkennen. Dort hingen die
Schläger berühmter verstorbener Golfspieler und einiger weniger berühmter, noch
lebender Duckworthianer, die sich vom aktiven Spiel zurückgezogen hatten. Mrs. Dogar
überzeugte sich, daß man die Schläger leicht herunternehmen konnte. Es war schon
eine ganze Weile her, seit Rahul zuletzt im Umkleideraum der Männer gewesen war,
damals noch als kleiner Junge. Als sie ein paar Schläger voller Zufriedenheit abgenommen
und wieder an ihren Platz gehängt hatte, kehrte sie in die Herrentoilette zurück
– nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sich weder Mr. Sethna noch Mr. Bannerjee
dort aufhielten. Daß ihr Mann den Tisch im Ladies’ Garden nicht verlassen würde,
wußte sie. Er tat, was man ihm sagte.
Als sie (von der
Herrentoilette aus) sah, daß sich niemand in der Eingangshalle befand, kehrte sie
in den Ladies’ Garden zurück. Sie steuerte direkt auf den Tisch der Bannerjees zu,
die mit den Dogars nicht näher befreundet waren, und sagte leise: »Tut mir leid,
daß ich so unverblümt mit meinem Mann gesprochen habe. Aber in diesem Zustand ist
er buchstäblich wie ein kleines Kind. Er ist so senil, daß man sich nicht auf ihn
verlassen kann. Das gilt nicht nur fürs Autofahren. Erst neulich, nachdem wir hier
zu Abend gegessen hatten, konnte ich ihn in letzter Minute davon abhalten, in voller
Montur in den Pool zu springen.«
»In den leeren Pool?«
fragte Mr. Bannerjee.
»Ich danke Ihnen
für Ihr Verständnis«, erwiderte Mrs. Dogar. »Genau das meine ich. Wenn ich ihn nicht
wie ein Kind behandle, wird er sich noch weh tun!«
Dann kehrte sie
wieder an ihren Tisch zurück, und die Bannerjees blieben mit dem Eindruck zurück,
daß Mr. Dogar ein seniler und selbstzerstörerischer alter Mann war – denn daß man
ihn tot am tiefen Ende des leeren Pools finden würde, war einer der möglichen Schlüsse
des ersten Entwurfs, an dem die zweite Mrs. Dogar derzeit hart arbeitete. Wie jeder
gute Geschichtenerzähler machte sie lediglich Andeutungen. Sie wußte auch, [627] daß
sie andere Möglichkeiten andeuten sollte, Alternativlösungen, die sie bereits im
Kopf hatte.
»Es tut mir leid,
daß ich dich so behandeln muß, Liebling, aber bleib schön brav hier
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