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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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genug, und die Papageien und Blumen erst recht; aber das Hemd war
für seine Figur wenig vorteilhaft.
    Kommissar Patel
setzte die Befragung auf Hindi fort. »Woher haben Sie dieses Hemd?«
    »Dhar hatte es an«,
antwortete die Prostituierte.
    »Recht unwahrscheinlich«,
meinte der Kommissar.
    »Ich habe Ihnen
doch gesagt, daß es ein Hochstapler war«, sagte die Prostituierte.
    »Welcher Esel würde
sich als Dhar ausgeben und es wagen, sich in der Falkland Road blicken zu lassen?«
fragte Patel.
    »Er sah aus, als
wüßte er nicht, daß er Dhar ist«, entgegnete der hijra.
    »Ach so, verstehe«,
sagte Detective Patel. »Er war ein Hochstapler, aber er wußte nicht, daß er einer
war.« Der hijra kratzte sich mit dem eingegipsten
Handgelenk an seiner Hakennase. Den Kommissar langweilte die Befragung allmählich.
Er ließ den hijra [674]  nur deshalb hier sitzen, weil ihm dessen lächerlicher Anblick half, seine Gedanken
auf Rahul zu konzentrieren. Freilich wäre Rahul inzwischen drei- oder vierundfünfzig
und würde bestimmt nicht dadurch auffallen, daß sie einen halbherzigen Versuch machte,
wie eine Frau auszusehen.
    Womöglich konnte
Rahul nur so all die vielen Morde in einund demselben Viertel Bombays verüben. Sie
konnte ein Bordell als Mann betreten und beim Verlassen wie ein altes Weib aussehen.
Oder aber wie eine attraktive Frau in mittleren Jahren. Bevor dieser hijra, der reine Zeitverschwendung war,
ihn an diesem Morgen bei der Arbeit unterbrochen hatte, hatte Patel schon ein recht
ansehnliches Pensum erledigt. Seine Nachforschungen über Rahul machten recht gute
Fortschritte, und die Liste der neuen Mitglieder des Duckworth Club hatte ihm weitergeholfen.
    »Haben Sie schon
mal von einer zenana mit Namen Rahul gehört?« fragte Patel den hijra.
    »Die alte Frage«,
entgegnete der Transvestit.
    »Nur daß sie inzwischen
eine richtige Frau ist. Sie hat eine vollständige Geschlechtsumwandlung durchgemacht«,
fügte der Detective hinzu. Er wußte, daß einige wenige hijras ganz neidisch bei dem Gedanken an
einen kompletten Transsexuellen wurden. Die meisten hijras waren jedoch genau das, was sie
sein wollten – sie hatten keine Verwendung für eine vollständig ausgebildete Vagina.
    »Wenn ich wüßte,
daß es so jemanden gibt, würde ich sie wahrscheinlich umbringen«, sagte der hijra gutmütig. »Wegen ihrer Geschlechtsteile«,
fügte er lächelnd hinzu. Natürlich machte er nur Spaß. Detective Patel wußte mehr
über Rahul als dieser hijra; in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte er mehr über Rahul erfahren als in den
zwanzig Jahren zuvor.
    »Sie können jetzt
gehen«, sagte der Kommissar. »Aber das Hemd lassen Sie da. Sie haben selbst zugegeben,
daß Sie es gestohlen haben.«
    [675]  »Aber ich habe
sonst nichts anzuziehen!« schrie der hijra.
    »Wir besorgen Ihnen
schon was zum Anziehen«, sagte der Polizeibeamte. »Kann höchstens sein, daß es nicht
zu Ihrem Minirock paßt.«
    Als Detective Patel
das Kriminalkommissariat verließ, um sich zum Lunch in den Duckworth Club zu begeben,
hatte er eine Tüte bei sich; darin befand sich das Hawaiihemd, das dem falschen
Dhar gehörte. Der Kommissar wußte, daß nicht alle Fragen bei einem einzigen Lunch
beantwortet werden konnten, aber die Frage, die das Hawaiihemd aufwarf, erschien
ihm relativ einfach.
    Der Schauspieler tippt richtig
    »Nein«,
sagte Inspector Dhar. »Ich würde nie so ein Hemd tragen.« Er warf einen raschen,
gleichgültigen Blick in die Tüte, ohne sich die Mühe zu machen, das Hemd herauszuholen
– ohne den Stoff überhaupt anzufassen.
    »Es hat ein kalifornisches
Etikett«, informierte Detective Patel den Schauspieler.
    »Ich war nie in
Kalifornien«, entgegnete Dhar.
    Der Kommissar legte
die Tüte unter seinen Stuhl. Er schien enttäuscht, daß sich das Hawaiihemd nicht
als Eisbrecher für ihre Unterhaltung erwies, die wieder einmal ins Stocken geraten
war. Die arme Nancy hatte überhaupt noch nichts gesagt. Schlimmer freilich war,
daß sie einen Sari trug, der so geschlungen war, daß der Nabel frei blieb; die goldgelben
Härchen, die sich als glänzende Spur bis zum Bauchnabel hinauf kräuselten, empfand
Mr. Sethna als ebenso störend wie die unansehnliche Tüte, die der Polizeibeamte
unter seinen Stuhl gelegt hatte. In genau so einer Tüte würde man eine Bombe verstecken,
dachte der alte Butler. Und westliche Frauen in indischer Aufmachung mißbilligte
er zutiefst! Außerdem paßte bei dieser Frau die helle Haut um die

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